6 novembre 2013

Ein Hologramm für den König

Dave Eggers' Roman ist sicher kein Epos wie Alaa al-Aswanis „Der Jakubijân-Bau“. Dafür spricht schon, dass der Autor kein Saudi sondern Amerikaner ist. Nichtsdestotrotz gibt er einige interessante Einblicke in die saudi-arabische Gesellschaft. Vielmehr noch beschäftigt er sich aber mit dem Niedergang der USA als führende Wirtschaftsmacht.

An der saudischen Küste des Roten Meeres soll eine neue Stadt entstehen, die sich am Vorbild Dubais orientiert: Die King Abdullah Economic City (KAEC). Im Jahr 2005 gab Abdullah tatsächlich den Startschuss für das Mega-Projekt. Abseits der übrigen saudischen Gesellschaft sollen Frauen in KAEC sogar ein paar Rechte haben, zum Beispiel soll ihnen erlaubt werden, Auto zu fahren. Hauptcharakter des Romans ist Alan Clay, der für eine amerikanische Firma den Auftrag an Land ziehen soll, die gesamte IT-Infrastruktur in KAEC aufzubauen. Im Mittelpunkt seiner Präsentation steht eine Technik, die ein lebensgroßes Hologramm der Person, mit der man gerade telefoniert, in den Raum projiziert. Von allem überzeugt werden muss natürlich vorher noch König Abdullah, schließlich geht es ja um die Millionen der saudischen Königsfamilie. 


Aber Abdullah scheint sich nicht (mehr) sonderlich für das Mega-Projekt zu interessieren (wie das in der Realität aussieht, ist unbekannt). So müssen Alan und sein Team ihre Präsentation in einem riesigen Zelt aufbauen, in dem zunächst weder Klimaanlage noch W-Lan funktionieren (zumindest eine Internetverbindung ist für die Übertragung eines Hologramms aus London nicht ganz unwesentlich). Jeden Tag aufs Neue verharren sie in dem Zelt und warten auf die Anreise des Königs - sie werden jeden Tag aufs Neue vertröstet:
"- Dann sind Sie also hier, um sich ein Bild von der Lage zu machen, sagte sie, drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an.
- Ich versuche wirklich bloß, mir ein Bild von der zeitlichen Planung zu machen. Wann wir damit rechnen können, irgendwas Neues über den König zu erfahren, so was eben.
- Was hat man Ihnen erzählt? Ich hoffe, die haben Ihnen nichts versprochen.
- Nein, nein, sagte er. Die haben sich recht deutlich geäußert. Aber ich hoffe dennoch, dass es bald soweit ist. (...)
- Tja, das wäre gut für uns alle. Der König war schon eine Weile nicht mehr hier.

- Wie lange ist eine Weile?
- Nun ja, ich bin seit achtzehn Monaten hier, und er hat sich noch kein einziges Mal blicken lassen." 
Alan Clay steht dabei sinnbildich für den Niedergang der Weltmacht Amerika. Mitte 50, verschuldet, kann er die Studiengebühren für seine Tochter nicht mehr bezahlen und liegt darüber im ständigen Clinch mit seiner Ex-Frau. Er war führend beteiligt an der Verlagerung von Produktionsschritten mehrerer Unternehmen aus den USA in Niedriglohnländer und scheiterte letztendlich an seinen eigenen Rationalisierungsmaßnahmen. Metaphorisch ist wohl auch seine Geschwülst im Nacken, die er mehrfach mit unsterilisierten Messern und Nadelstichen "untersucht" und von der er glaubt, dass sie - verbunden mit dem Rückenmark - für die ganze Misere verantwortlich sei. Die Schilderung dieser Vorgänge ist dabei so plastisch, dass es einem mehrfach kalt den Rücken runterläuft (ähnlich wie das Blut Alans, nachdem er das Messer/die Nadel entfernt hat).
"Er ging zum Spiegel und fand die Nadel. Er hatten den Trick vom Kuchenbacken im Kopf - den Zahnstocher reinstecken, sehen, ob was kleben bleibt. Wenn er sauber rauskommt, ist der Kuchen fertig. 
Er sucht nach einem Streichholz. Er hatte keine Streichhölzer. Er war betrunken und hatte es satt, nach Sachen zu suchen. Die Nadel kam ihm steril genug vor. Er drehte sich zum Spiegel, hielt die Geschwulst mit der linken Hand, die Nadel in der rechten und zielte. (...)"
Die Zeit des Wartens - zu keiner Zeit ist klar, ob Abdullah heute, nächste Woche oder Ende nächsten Monats auftauchen wird - bringt Alan mehr oder weniger freiwillige Einblicke in die saudische Gesellschaft. Bei einem Roadtrip mit seinem Fahrer Yousuf, mit welchem er sich anfreundet, lernt Alan, dass sein Humor mal mehr, mal weniger gut ankommt. Im Haus der Ärztin, die ihm die Geschülst entfernt, gehen beide mit Männershorts und oberkörperfrei schnorcheln, weil es dann für die Nachbarn von oben so aussieht, als seien zwei Männer im Wasser. Und auf einer Party in der dänischen Botschaft lernt er die Vorzüge illegal gebrannten Alkohols kennen.

"-Salam, sagte er.
- Salam, sagte Alan.
- Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen.
- Nein, danke. Ich gehe bloß spazieren. 
- Machen Sie Fotos?
- Ja, richtig. Wunderschöner Morgen.
- Ich habe Sie von oben beobachtet. 
Alan sah sich um und versuchte abzuschätzen, von welcher Stelle weiter oben der Mann ihn beobachtet hatte. Der Mann lächelte grimmig. 
- Sie machen viele Fotos.
- Kann sein, sagte Alan. 
Irgendwas passierte hier, aber konnte nicht den Finger drauflegen. Dann wusste er es. 
- Amerikaner, fragte der Mann?
Ah. Wie immer spürte Alan spontan die Lust zu lügen.
- Ja, sagte er. 
- Die vielen Fotos. Arbeiten Sie für die CIA oder so?
Das Lächeln des Mannes wirkte jetzt echter, und das schien irgendwas in Alan zu lösen.
- Bloß freiberuflich, witzelte Alan. Nicht fest angestellt.
Der Kopf des Mannes schnellte ein wenig zurück, als hätte er etwas Unangenehmes gerochen, irgendwas Unnatürliches. Dann legte er den Gang ein, und weg war er."
Auch seine Potenz kann sinnbildlich für die amerikanische Wirtschaftskraft interpretiert werden, sie versagt immer dann, wenn sie gefordert wird. Durch die Briefe an seine Tochter, die er nie abschicken wird,  findet er mehr und mehr zu sich selbst. Die Beschreibung des Reichtums am Golf und der Armut in den Wüstenstädten sowie die gescheiterte Existenz Alans sind immer gewürzt mit Erinnerungen an bessere Zeiten und mit Globalisierungskritik.

Ob König Abdullah tatsächlich eines Tages in KAEC auftaucht, lass ich hier mal offen, um nicht das Ende zu verraten. Jedoch kommt es in diesem wunderbaren Roman gar nicht so sehr auf das Ende an. Ab Januar 2014 wird er übrigens verfilmt - leider mit Tom Hanks. Man sollte ihn unbedingt vorher noch lesen!

Zum Weiterlesen:
Eggers, D. (2013): Ein Hologramm für den König. Kiepenheuer & Witsch, Köln.




30 octobre 2013

Armes Hypezig: Von Moschee-Bau und Rassismus

Den Hype um Leipzig fand ich immer schon irgendwie merkwürdig. Wenn mich Nicht-Leipziger auf die neuen Hipster-Stadt ansprechen, weiß ich immer gar nicht, was ich antworten soll. Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Debatte über den Moschee-Bau in Gohlis.

So gut kann es um den Freiraum und die Toleranz in Hypezig nicht bestellt sein, wenn eine Bürgerinitiative in Gohlis rassistische Vorurteile spielen lässt, nur weil eine muslimische Religionsgemeinschaft durch den Bau einer Moschee die Langeweile der Georg-Schumann-Straße etwas aufbrechen will. Die Argumente, die sich auf das architektonische Erscheinungsbild beziehen, scheinen dabei noch die harmloseren zu sein. Im Gegensatz zum Neubau der katholischen Kirche am Wilhelm-Leuschner-Platz oder der protestantischen Kirche im Rahmen des Universitätsneubaus (ist die eigentlich endlich mal fertig?) ist die geplante Moschee vergleichsweise klein und alles andere als ein Protzbau. 

Die Ahmadiyya-Moschee aus Richtung Süd-Ost. Im Hintergrund das höhere Nachbargebäude. (Foto: Stadt Leipzig)
Weitaus schlimmer sind die offen ausländer- und migrantenfeindlichen Argumente aus einer kruden "Überfremdungsangst" heraus oder aus der Angst vor einer "migrantischen Infrastruktur". So hat sich nach Bekanntmachung der Pläne eine (bislang anonyme) Bürgerinitiative gegründet, die den Moscheebau verhindern will und dafür die Online-Petition "Gohlis sagt Nein" initiiert hat. Liest man die Argumente, die die Petition begründen, kann einem nur schlecht werden. Knapp 2500 Unterstützer sind ihnen im Oktober 2013 trotzdem aufgessen. Der befürchtete steigende Lärmpegel und die kommende Parkplatznot sind dort natürlich die offiziellen Argumente. Glücklicherweiser wurde prompt die Gegen-Petition "Leipzig sagt ja" gegründet, die mit knapp 3000 Unterstützern etwas mehr zu bieten hat. Nun ist Quantität zwar noch kein Qualitätsmerkmal, aber es stimmt trotzdem erstmal zufrieden.

Viele der Argumente der Gegner haben andere schon sehr gut kritisch analysiert, z.B. hier oder hier. Eines der besonders dummen wird aber immer wieder bedient: In muslimischen Ländern ist der Kirchenbau oftmals nicht erlaubt, daher müssen wir in Deutschland auch den Moscheebau verbieten, so das Argument. Dafür hätte es gar nicht den Besuch der Veranstaltung "Logik und Wissenschaftstheorie" im Rahmen meines Bachelor-Studiums bedurft, um die Dämlichkeit des Arguments zu erkennen. Wenn ich einen Zustand kritisiere, weil ich ihn falsch finde, dann will ich ihn doch besser machen. Oder bin ich da zu naiv? Weil mein Nachbar, der Umweltsünder, den Müll nicht trennt, trenne ich ihn auch nicht, ist klar, ne?

Natürlich ist das alles kein Leipzig-spezifisches Problem. Feindlichkeit und Ressentiments gegenüber Fremden sind immer dort am ausgeprägtesten, wo es diese vermeintlich Fremden gar nicht gibt. In der Schweiz wurde der Minarett-Bau überwiegend in den Kantonen abgelehnt, in denen es gar keine Moscheen gibt (zur Erinnerung: Volkentscheid 2010). Das hört sich nur auf den ersten Blick paradox an. Denn dort, wo der Umgang mit "Anderen" zum Alltag gehört, ist auch die Fremdenfeindlichkeit geringer. Das liegt schon in der Logik des Wortes "fremd" begründet. Aber auf dem Weg dahin würde man natürlich seine Vorurteile und sein Schubladen-Denken verlieren. Dieser Prozess hat es in Leipzig leider noch nicht bei allen zum Hype geschafft.



30 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #3

Der Luxus einer Haltestelle, die sich direkt vor der Haustür befindet, ist leider vorbei. Die nächste S- und U-Bahnhaltestelle ist ganze 8-Gehminuten und 2-Fahrradminuten entfernt. Da verschätzt man sich mitunter in der Zeit.. 

Manchmal habe ich es morgens so eilig, dass nicht mal mehr Zeit für ein kurzes Frühstück bleibt. Wenn es hart auf hart kommt, verlasse ich dann das Haus, ohne etwas im Magen zu haben. Zum Glück befindet sich auf dem Weg zur Haltestelle "Helga's Schlemmerlädchen". Helga wurde wohl noch nie darüber aufgeklärt, dass die deutsche Sprache sich von der englischen durchaus unterscheidet. Und so werden meine müden Augen schon frühmorgens hart auf die Probe gestellt, ähnlich wie in "Susi's Blumenladen" oder "Olaf's Schloss- und Schlüsselmacherei". Da hat der Helga ihr Deutschlehrer aber einen schlechten Job geleistet. Da ich ihn persönlich allerdings nicht kenne, betrete ich doch ab und zu Helgas Schlemmerlädchen. 

Gespräch vor dem Betreten der U-Bahn (aktiv):

- Helga: Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?
- Ich: Ich hätte gern ein Brötchen mit Tomate/Mozarella.
- Helga: Die haben wir zur Zeit nicht. Erst wieder, wenn die Schulferien vorbei sind.
- Ich: Dann nehme ich...
- Helga: Aber wir haben jede Menge andere, mit Käse, mit Wurst, ...
- Ich: Nee, die sind mir alle zu trocken.

(Helgas Gesicht schläft ein. Ich realisiere langsam, was ich gerade gesagt habe.)

- Ich: Also das ist meine rein persönliche Meinung.
- Helga: Wir machen da immer soo viel drauf.
- Ich: Ja, also...
- Helga: Die sind wirklich nicht trocken.
- Ich: Ich nehme lieber eine Quarktasche.
- Helga: Das liegt ja jetzt auch wirklich nahe.

Ich verlasse Helgas Laden und gehe davon aus, dass sie sich beim nächsten Mal eh nicht mehr an mich erinnern wird (Nach den Ferien sollte sie mich aber mit den Worten: "Wir haben wieder Tomate-Mozarella-Brötchen im Angebot, da müssen Sie nicht immer die trockenen Brötchen essen" begrüßen) und betrete die U-Bahn. Ich setze mich auf einen Vierersitz und bekomme schon bald Gesellschaft. Die ältere Dame schaut mir zu und beobachtet, wie ich die Papiertüte, in der sich bis vor drei Minuten die Quarktasche befand, auf mein Bein lege. Dann:


Gespräch#3 in der U-Bahn (aktiv):

- Ältere Dame: Sie schmeißen die Papiertüte aber jetzt nicht wirklich auf den Boden?
- Ich: Nein... ich werde sie, sobald ich ausgestiegen bin, in einen Mülleimer entsorgen.
- Ältere Dame: Das will ich Ihnen geraten haben!
- Ich: Ich weiß aber auch nicht, warum wir darüber jetzt reden müssen?
- Ältere Dame: Mich regt die Vermüllung in Frankfurt so auf.
- Ich: Und was hab ich damit zu tun?
- Ältere Dame: Ich mein ja nur.

Die nächsten fünf Minuten schweigen wir uns eisern an. Sie beginnt drei Haltestellen, bevor sie aussteigen muss, mit den Vorbereitungen. Ich merke, dass ihr noch was auf der Zunge liegt.

- Ältere Dame: Ich wollte Sie jetzt nicht persönlich angreifen. 
- Ich: Schon gut.

Sie lächelt mir zu und ich merke, dass ich in Zukunft wirklich früher aufstehen sollte, damit die Zeit auch noch für ein Frühstück reicht.



15 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #2

Je schlechter das Wetter, desto voller werden auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Somit steigt die Gefahr, in fremde Gespräche involviert zu werden.

Wer oft Zug fährt, kennt das Phänomen: Der Deutsche bleibt lieber unter sich. In ICs und ICEs gibt es neben den zahlreichen 2er-Sitzen auch die wesentlich komfortableren 4er-Sitze. Die stehen für Beinfreiheit und haben einen wesentlich größeren und stabileren Tisch. Die Hürde für andere Bahnreisende scheint schier gigantisch zu sein, sich an einen dieser 4er-Sitze zu setzen, wenn schon eine(!) Person einen Platz belegt. Es muss sich schon um einen besonders vollen Zug handeln, in welchem alle Doppelsitze belegt sind, dass jemand auf die Idee kommt, sich dazuzugesellen. An guten Tagen sitze ich also allein und genieße Platz und Ruhe. In der U-Bahn scheint diese Hürde keiner zu kennen. So endet die Beinfreiheit und an Ruhe ist sowieso nicht zu denken. 

Eines schönen Tages sitze ich also in der U-Bahn, habe wie immer meine Kopfhörer auf und höre Musik. Bis...

Gespräch#2 in der U-Bahn (passiv):

- Frau: Ich kann es immer noch nicht fassen.
- Mann: Bitte mach kein Drama draus.
- Frau: Ich verstehe einfach nicht, warum du abgesagt hast.
- Mann: Es hat geregnet und ich hatte einfach keine Lust, nass zu werden.
- Frau: Und wieso sind die anderen dann gegangen?
- Mann: Die gehen bei jedem Wetter. Du kannst mir aber glauben, es hat von Freitag Mittag bis Sonntag Abend nur geregnet. 
- Frau: Bei mir nicht.
- Mann: Du warst ja auch nicht in Frankfurt.
- Frau: Leider Gottes, sonst hätte ich dafür gesorgt, dass du auf den Golfplatz gehst. Du kannst dich dort jetzt nicht mehr sehen lassen.
- Mann: Das ist mir sowas von egal.
- Frau: Und du hast am Telefon abgesagt?
- Mann: Ja, klar. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass wir es verschieben, aber das wollten sie nicht.

(längere Pause)

- Frau: Was sagt denn Rita dazu?
- Mann: Die ist deiner Meinung.
- Frau: Siehst du.

(längere Pause)

- Frau: Und die haben im Regen gespielt?
- Mann: Ich hab um 9 Uhr angerufen. Das Problem ist, dass es um 11 Uhr nicht geregnet hat.
- Frau: Toll, dann hättest du ja auch gehen können.
- Mann: Das wusste ich ja noch nicht.
- Frau: Der wird jetzt Stimmung gegen dich machen im Club.
- Mann: Das ist mir sowas von egal. Der geht höchstens einmal im Monat hin.
- Frau: Aber der hat doch da eine wichtige Position, nicht?
- Mann: Ja, er ist Finanzminister.

(längere Pause)

- Frau: Wie, von Deutschland?
- Mann: Nein, vom Golfclub.
- Frau: Du kannst dich da nicht mehr blicken lassen.
- Mann: Das ist mir sowas von egal.
- Frau: Ich werd nochmal mit Rita drüber reden.
- Mann: Tu das.

(Sie verlassen die U-Bahn)

12 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #1

Ich bin immer wieder aufs Neue begeistert vom gut ausgebauten, vergleichsweise preiswerten Frankfurter ÖPNV-Netz. Busse und Straßenbahnen, S- und U-Bahnen fahren schnell, in gutem Takt und die lokale Nahverkehrsgesellschaft schafft es sogar im Winter, Gleise und Oberleitungen vom Eis zu befreien! Gerade zu Beginn des Herbstes werden die Wagen jedoch wieder voller, die Gerüche intensiver und die Fahrten daher unangenehmer. Versüßt werden sie lediglich von dem einen oder anderen Gespräch, dass man zwangsweise verfolgen muss oder sogar in selbiges involviert wird.

Seit meinem Umzug fahre ich länger und öfter U-Bahn. Die neue Wohnung liegt "weiter draußen", sodass der faule Mensch an sich, sein Fahrrad mehr und mehr zu Hause stehen lässt. Da auf einem Vier-Sitzer in den neueren Wagen sogar vier Menschen Platz haben (wer die alten Wagen der U5 kennt, weiß wovon ich spreche), lauscht man zunehmend den Gesprächen der Mitfahrenden. Klar, normalerweise habe ich Kopfhörer auf und höre Musik, aber erstens soll man die ja nicht so laut aufdrehen (schlecht für die Ohren!) und zweitens bin ich schlicht und ergreifend neugierig. Je leiser die Musik, desto besser versteht man die Gespräche. Und da ich die Kopfhörer ja weiterhin trage, bekommt sogar niemand mit, dass ich weniger der Musik lausche als den vermeintlich interessanten Gesprächsinhalten der 1-3 Mit-auf-dem-Vierersitz-Sitzenden (ja, Headsets legitimieren es heute sogar, Selbstgespräche zu führen). 

Manchmal wird man auch selbst mit der Aufmerksamkeit seiner Mitfahrenden beschenkt. Ungewöhnliche Situation, bleibt doch der Deutsche an sich lieber anonym. Dabei schrecken dann nicht mal die Kopfhörer ab, die ich trage. Hallo? Ich hör doch hier wohl offensichtlich Musik! Manche Menschen kennen keine Scheu. Und so wurde ich Teil des folgenden Gesprächs: 

Gespräch#1 in der U-Bahn (aktive Beteiligung):

- Frau 1: Entschuldigung, ich habe eine Frage zu Ihrem Rucksack.
- Ich: Okay... 
- Frau 1: Der ist von Reuters, oder?
- Ich: Von Deuter.
- Frau 1: Ja, soll eine ganz gute Marke sein. (zu ihrer Begleiterin): Gabi, vielleicht solltest du doch nochmal über Reuters nachdenken. 
- Frau 2: Was hat der gekostet?
- Ich: Weiß ich nicht mehr genau, ich glaube, so 80 Euro.
- Frau 1: Und hat es sich gelohnt?
- Ich: Ja, ich bin sehr zufrieden.
- Frau 1: Und wieviel Liter hat der?
- Ich: Moment mal, das müsste hier stehen.... 26 Liter.
- Frau 1: Und reicht das aus?
- Ich: Für meine Bedürfnisse schon.
- Frau 1: Und Regenschutz hat er auch?
- Ich: Ja, hier unten.
- Frau 1: Also Gabi, ich denke, der wär was für dich.
- Frau 2: Ich informier mich nochmal.
- Frau 1: Und was transportieren Sie damit so?
- Ich: Meistens meinen Laptop und ein paar Bücher, wenn ich in die Uni-Bibliothek fahre. 
- Frau 1: Ach und zum Verreisen ist der zu klein? Gabi, dann ist der vielleicht doch nichts für dich.
- Ich: Kommt drauf an. Wenn man nur übers Wochenende wegfährt, dann reicht der schon.

(längere Pause)
 
- Frau 1: Und wieviele T-Shirts bekommen Sie da rein?
- Ich: ... keine Ahnung. 
- Frau 1: Nicht sehr viele, oder? Wenn man dann noch einen Pullover mitnehmen möchte. 
- Ich: Übers Wochenende nehm ich nicht soviel mit. 
- Frau 1: Aha. 

Gabis Freundin, Gabi und ich schwiegen uns die nächsten 2 Minuten an. An der nächsten Station stieg ich aus, wünschte den Damen einen schönen Abend und rief bei Reuters an, um mich als Verkäufer zu bewerben.

9 septembre 2013

Und sonntags grüßt die Lesebühne

Gestern ist mir etwas Merkwürdiges passiert. Eine längst vergessene Empfehlung meinerseits aus dem letzten Jahr hat die von der Realität ansonsten hermetisch abgeschottete Blogosphäre verlassen und wurde auf eben jener Bühne lobend(?) erwähnt, für die ich einst die Werbetrommel geschlagen habe: auf der Lesebühne ihres Vertrauens

Was war passiert? Wie so oft im letzten Jahr, besuchte ich auch im September 2013 die Lesebühne ihres Vertrauens, eine Veranstaltung, auf der die drei festen Mitglieder, Tilmann Birr, Severin Groebner und Elis gemeinsam mit wechselnden Gästen ihre Texte vortragen und Lieder singen. Wie letztes Jahr im September war Elis nicht dabei, was die beiden anderen jedoch nicht davon abhielt, reichlich aus Elis' Sprüchetüte zu zitieren. Irgendwann erinnerte sich Severin doch tatsächlich an meinen Blogartikel aus dem letzten Jahr, der meinen ersten Besuch der Lesebühne (September 2012) resümierte. Darin schrieb ich: 

"Jeden zweiten Sonntag im Monat veranstalten Tilman Birr, Lisa Danulat, Elis und Severin Groebner die Lesebühne im Frankfurter Ponyhof. Zwar waren diesmal nur Tilman und Severin anwesend (nach spontaner, nicht repräsentativer Umfrage soll wohl Elis besonders gut sein, da er die "Portion Wahnsinn" mit bringt), die vermeintliche Lücke füllten sie jedoch mit den zwei überragenden Gästen Andreas Weber und André Herrmann"

In Severins Kopf blieb hängen, dass ich Elis hier lobend erwähne, obwohl er, wie gestern auch, auf der September-Bühne fehlte. Severin: "Elis erhält sogar positive Kritik, wenn er nicht auf der Bühne steht". Diese Gegebenheit nehme ich doch gern zum Anlass, die Lesebühne erneut wärmstens zu empfehlen.  

Severin, Tilmann, Elis (Quelle: Lesebühne)
Nach meiner ersten Saison Lesebühne, bei der ich an fast allen zweiten Sonntagen im Monat anwesend war, halte ich mein positives Urteil aufrecht. Es fetzt! Alle drei Lesebühnen-Mitglieder machen Spaß. Severin, der Exil-Wiener, der in Bornheim wohnt (obwohl er, wie wir gestern erfahren durften, kürzlich umgezogen ist), besticht durch die Perspektive des Österreichers auf die Deutschen ("Österreicher sind im Ausland so beliebt, weil sie sowieso für Deutsche gehalten werden, wenn sie sich daneben benehmen"). Tilmanns Erlebnisse als Reiseführer in Berlin werden nur von seinen Liedern getoppt. Besonders angetan hat es mir dabei sein Lied "Burnout", aus dem ich oft selbst im Alltag zitiere: "Früher schlief ich gerne länger, jetzt bin ich Berufsanfänger". Und Elis? Nachdem ich ihn nun tatsächlich auf der Bühne erleben durfte, bestätigt sich das Urteil meiner damaligen Begleitung, die schon seit mindestens 1732 Fan der Lesebühne ist: Ja, er ist der Beste. Und ja, das liegt an der Portion Wahnsinn. 



Natürlich waren nicht alle Lesebühnen gut, es gab auch schwächere Abende: 
  • Wenn Severin ein Lied vorträgt, das noch nicht fertig ist, er also Text, aber noch keine Musik hat, dann hätte das Lied sicher auch noch bis zum Oktober warten können. Und wenn er dann ein zweites Lied singt, welches schon so alt ist, dass er Schwierigkeiten hat, sich an den Text zu erinnern, dann hat eben jene Freundin, die mich auch gestern wieder begleitete, vielleicht gar nicht mal so unrecht: "Severin und Lieder, das passt einfach nicht zusammen"
  • Wenn der gestrige Gast Anselm Neft deutlich raushängen lässt, dass er mit dem Ponyhof-Publikum eher weniger klar kommt. Meine Freundin: "Er ist halt eher so der ernste Germanist." - "Wie meinst du das?" - "Wer Gryphius zitiert, kann nur ein ernster Germanist sein" Sie meint das übrigens ausschließlich positiv.
  • Wenn Elis (in der letzten Lesebühnen-Saison, gestern war er ja nicht da) an mehreren Abenden die selben (zugegeben sehr guten) Texte vorträgt. Macht sonst nur Andy Strauß beim "Word! Poetry Slam Meets Rap"

Aber es fällt wirklich leicht, solche Schwächen zu verzeihen: Als Großstädter erfreue ich mich einfach an Liedern wie "Ich bin ein Landproll, wie immer randvoll, Goldkrone, Goldkrone". Nicht nur aufgrund seiner Auftritte vor dörflichen Kulturvereinen regt Tilmann an, hässlichen Menschen einfach mal zu sagen, dass sie scheiße aussehen. Natürlich völlig wertfrei, ist ja klar! Und als Student im 287. Semester freue ich mich ebenso über Geschichten aus dem (längst vergangenen) Uni-Alltag des zweiten Gastes Christian Ritter aus seinem Buch "Kopfhörer raus, das ist klausurrelevant". Daher fällt es mir leicht zu sagen: Ja, ich schenke der Lesebühne auch 2013/2014 mein Vertrauen. In der Hoffnung, dass der Hubschrauber endlich zur Landung ansetzt.  



24 mai 2013

Wie man in Frankfurt eine Wohnung findet, Teil 3.

Verrückt ist, wer im Oktober in Frankfurt/Main eine Wohnung sucht. So dachte ich. Wenn man hingegen bereits in FFM wohnt, wird es viel leichter sein, eine Wohnung zu finden. So dachte ich. Heute weiß ich: Verrückt ist, wer überhaupt eine Wohnung in FFM sucht. 

Okay - wir haben die Wohnung "freiwillig" gekündigt. (Wer wissen will, was freiwillig bedeutet, kann hier nachlesen). Der große Unterschied zu meiner Wohnungssuche vor anderthalb Jahren ("Der Schwächste fliegt") war, dass ich gemeinsam mit der aktuellen WG etwas finden wollte. Also quasi den Inhalt behalten und nur die Hülle ändern. Das gestaltete sich - welch Überraschung - schwerer als gedacht. 

Der Wohnungsmarkt in Frankfurt ist derart angespannt, dass der gemeine Student im Grunde keine Chance hat. Die Vermieter wählen nach Belieben ihre Mieter aus und am Ende entscheiden die harten Fakten: Money, Money, Money. Mieterselbstauskunft, die letzten drei Gehaltsnachweise, eine Bürgschaft der Eltern und der persönliche Schufa-Eintrag sind dabei Grundvoraussetzung, um überhaupt zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden.

Gern gesehen sind hingegen junge Paare, wobei der Kinderwunsch möglichst noch lange ein Wunsch bleiben sollte. Dass Pärchen sich mitunter trennen, ist dabei irrelevant, Hauptsache keine WGs und schon gar kein Studenten-Pack. 

So erlebten wir eine herbe Enttäuschung nach der anderen. Der urspüngliche Plan, zu dritt zusammenzuziehen, erwies sich schnell als Utopie, denn 3-Zimmer-Wohnungen finden sich so gut wie gar keine auf dem Markt. Doch selbst 2-Zimmer-Wohnungen erwiesen sich als schwieriges Terrain. Die typische Ochsentour: die Vormieter schauen sich verschiedene Interessenten an und schlagen dem Vermieter anschließend zwei bis drei Leute vor. Auch wir kamen mehrfach in den Recall, hatten aber keinen Erfolg. Dabei wäre es doch so einfach gewesen: 

- "Hier ist der Mietvertrag, lest ihn euch schnell durch. Ihr seid mir sympathisch, ich nehm euch auf der Stelle - unter einer Bedingung: Ihr müsst mir die Kaution jetzt sofort zahlen."
- "In bar?"
- "Ja, sonst habe ich keinerlei Sicherheit, dass ihr euch es nicht morgen wieder anders überlegt."
- "Und wie viel wäre das?"
- "1470 Euro."
- "Äh... haben wir jetzt n i c h t dabei"

Die beiden 18jährigen Mädels, die die Wohnung dann bekommen haben, kamen mit ihren Eltern im Schlepptau. Deren Kreditkarte saß ein wenig lockerer als unsere und der nächste Geldautomat war auch nicht weit entfernt. Und so hagelt es eine Absage nach der anderen. Parallel suchten wir schon WG-Zimmer, sodass jeder doch seines Weges gehen sollte - um dabei mitunter sogar in Konkurrenz um bestimmte Zimmer zu stehen.



Plötzlich wird die Zeit langsam knapp. Fünf Wochen reichen locker für die Wohnungssuche. So dachten wir. Und während einem langsam die Felle davonschwimmen, mussten wir zwangsläufig unsere Optionen erweitern. >Zwischenmiete (aber wohin mit den Möbeln?). >>Möbilierte Zimmer (aber wohin mit den Möbeln?). >>>Unmöbilierte Zimmer zur Zwischenmiete (nach einem Monat schon wieder umziehen?). >>>>Bei alten Männern einziehen, die einen als Reinigungskraft erwerben wollen (aber wohin mit dem Ekel?). Merke: Du hast zwar deine Ansprüche im Keller abgestellt, aber darfst dabei nicht die Nerven verlieren!

Dann stehst du kurz vor der Vertragsunterzeichnung für ein Zimmer, dass du nicht willst, weil es zu klein ist. Du willst die Wohnung nicht, weil die Mitbewohner*innen, die du nur teilweise kennenlernen durftest, noch nie was von Staubsaugern und  Putzmitteln gehört haben. Und du willst in dem Viertel nicht wohnen, weil du dir nicht aller zwei Wochen einen neuen Perso besorgen und deine Kreditkarte sperren möchtest. Dann aber, in just diesem Moment, erhälst du doch noch eine Zusage für ein WG-Zimmer, in dem du dir sehr gut vorstellen könntest zu wohnen. Ist das Glück oder Wahnsinn?

Eine knappe Woche war ich von der Obdachlosigkeit entfernt. Genug Zeit, um meinen Umzug zu planen. Insbesondere weil ich schon vor vier Monaten in weiser Voraussicht meinen ganzen Krempel in Kisten gepackt habe. Fünf Wochen reichen locker für die Wohnungssuche. So dachten wir. Vier Leute wohn(t)en in meiner WG. Zweieinhalb von ihnen sind versorgt. Aber noch ist ja nicht Juni.

8 mai 2013

Am Anfang war das Wasser, Teil 4

Jetzt also doch. Die Feuchtigkeit ist zurück. Oder vielmehr war sie nie weg.  Gehen Sie zurück auf Los und ziehen Sie keine DM 4.000,-- ein.

"Doch auch jeglich pessimistischere Schätzung ließ uns nicht erahnen, dass wir Ende März noch immer an den Nachwehen der feucht-fröhlichen Nacht zehren werden." (Teil 2) Ende März? Wenn ich jetzt in meinen nicht  vorhandenen Kalender schaue, sieht mich des Mai'ens schönstes Lächeln an. Und das Lachen ist fies. 

Was war passiert? Beim Rausreißen des halb verlegten Holzes (Teil 3) schlägt die Wünschelrute des Parkettleger aus. Er findet Wasser. Zumindest misst er Estricht, Querleisten und seine Mutter und stellt fest, dass die Wohnung noch nass ist. Die Trocknungsfirma wird zurückgerufen. Auch diese misst und stellt fest, dass die Wohnung trocken ist. "Für uns ist die Sache erledigt". Und nun wird gestritten. Bis nicht ein unabhängiger Gutachter Recht gesprochen hat, wird natürlich kein neues Holz bestellt (auch wenn das Holz diesmal nicht aus Schweden, sondern aus Österreich geliefert werden soll). Natürlich kommt der Gutachter nicht sofort und spricht Recht, sondern lässt sich Zeit, so ein bis zwei Wochen. Ist klar, schließlich müssen ja erst die Sitzplätze für die Presse ausgelost werden. Und dann nochmal.

In der Zwischenzeit liefern sich die Bewohner der Wohnung (wohnen bitte nicht im klassischen Sinne verstehen) ein heiteres Scharmützel mit dem Wohnungseigentümer, in Auszügen folgend:


- A: Bitte lüften Sie morgens und abends jeweils 10 Minuten stoß, kippen Sie die Fenster tagsüber und schließen Sie diese nachts. 
- B: Okay.
- A: Die Fenster waren heute tagsüber nicht weit offen! 
- B: Ja, wir haben Sie gekippt.
- A: Sie müssen diese den ganzen Tag weit aufmachen. Das habe ich Ihnen bereits das letzte Mal deutlich gemacht. Im Übrigen ist die Wohnung wieder nass geworden, weil Sie nicht richtig gelüftet haben. 
- B: Wir sollten auch das Risiko etwaigen Regens und Sturm beachten. Tagsüber ist keiner in der Wohnung.
- A: Öffnen Sie die Fenster tagsüber. Sonst hat das Konsequenzen. 

- A: Sie haben die Fenster heute trotz Regens weit aufgelassen. 
- B: Ja, tagsüber ist keiner in der Wohnung. Heute morgen schien die Sonne.
- A: Wir haben hier eine Ausnahmesituation. Geben Sie auf mein Eigentum acht. Sonst hat das Konsequenzen.

- A: Sie haben in letzter Zeit nicht geheizt. Das ist der Grund dafür, dass die Wohnung noch nass ist.
- B: Ja, wir hatten 20 Grad im Schatten.
- A: Bitte heizen Sie. Sonst hat das Konsequenzen. 
- B: Ooookay.

- A: Sie hatte heute die Fenster nicht weit offen.
- B: Ja, wir haben geheizt.
- A: Bitte heizen Sie bei offenem Fenster! Sonst hat das Konsequenzen.


Wenn die Fenster offen sind und so ein laues Lüftchen weht, schalten alle unmittelbar in den Wohlfühlmodus. Besonders die Tauben, die uns fortan jeden Morgen besuchen Es sind diesselben Tauben, die wir bereits vom Dachboden verscheucht hatten (Teil 1). Inzwischen kommen die Vögel allerdings nicht mehr zu Besuch. Sie werden vom Lärm der Trocknungsgeräte verscheucht, die seit des Gutachters Spruch wieder in unserer Wohnung stehen und vor sich hinsingen. Der kam nämlich tatsächlich noch. Nur die Presse kam nicht. Der Masterplan des Gutachters, mit dem die Wohnung endlich trocken werden soll, sieht wie folgt aus: 1) Die Trocknungsgeräte laufen. 2) Es wird geheizt. 3) Die Fenster sind offen. Übrigens: bis die Wohnung nicht wieder trocken ist, wird kein neues Holz bestellt. Weder aus Österreich, noch aus Schweden. Ist ja klar.

Die Wochen vergehen. Und dann sitzt du in einem netten Straßencafé, trinkst einen doppelten Espresso gegen die Müdigkeit, denn an durchschlafen ist schon lange nicht mehr zu denken. Du willst dich mit deinen Leidensgenossen beraten, wie es nun weitergehen soll. Doch die Entscheidung ist schon längst gefallen. Klappe zu, Affe tot. Warum erst jetzt nach fünf langen Monaten? Nunja - hinterher ist man immer schlauer. Trotzdem hätte es nicht so enden dürfen.


Demnächst: "Wie man in Frankfurt eine Wohnung findet, Part III." Das hatten wir doch schonmal: Part I & Part II. Hat sehr viel Spaß gemacht.




22 avril 2013

Am Anfang war das Wasser, Teil 3

Langsam tut es nur noch weh. Zunächst musste ich nur die Szenerie beschreiben (Teil 1), dann mit ein wenig Sarkasmus aushelfen (Teil 2). Nur jetzt fällt mir (fast) nichts mehr ein. 

Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate. Die Lieferzeit dieses einen bestimmten Holzes, das nur in Schweden erhältlich ist, aber so unbedingt erforderlich war, beträgt drei bis vier Wochen. So hieß es. Nach sechs Wochen ist es dann also tatsächlich da.

Es ging los. Der Parkettleger beginnt seine Arbeit mit der Ansage "Ende nächster Woche sind wir fertig. Die Zimmer und das bissl Schiss Flur geht schnell." Ende gut, alles gut? Eh... Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Von wem stammt eigentlich dieser beschissene Satz?

Nein! Das konnte unmöglich das Ende vom Lied sein. Am zweiten Tag stellt der Parkettleger fest, dass das Holz, was 6 Wochen brauchte, um 1800km zurückzulegen, unbrauchbar ist. WTF? Wieviel Pech kann man eigentlich haben? Holz darf/muss einen Wasseranteil von neun Prozent haben, wenn es verlegt werden soll. Unser Holz: 16 Prozent. Verlegt man das Holz, wird es sich bei der nächsten Hitzewelle oder beim nächsten Heizen zusammenziehen, was Fugen in Breite eines Zollstocks zur Folge hätte. Nahe liegender Verdacht: Unsere Wohnung ist bestimmt noch nass! Falsch. Boden: 1 Prozent Feuchtigkeit, Wände: 0 Prozent, Luft neun Prozent. "Das habe ich in 33 Berufsjahren noch nicht erlebt", so der Parkettleger. 

Das verlegte Holz muss also wieder raus. Ausgang offen. Un. Fass. Bar. Das ist wie, als hättest du vier Monate kein Bier getrunken, dann wird dir Ende nächster Woche ein ganzer Kasten versprochen und kurz vor Ende heißt es "Ne, sorry, das Bier ist verdorben." Wie soll man da eigentlich noch reagieren: Hysterie? Depression? Amok? Keine Sorge, das ist alles nicht mein Stil.

Fortsetzung folgt. Leider.



19 mars 2013

Am Anfang war das Wasser, Teil 2

Wir waren naiv. Dass die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nicht ausreichen würde, um den Albtraum vergessen zu lassen, war ja schon klar. Doch auch jeglich pessimistischere Schätzung ließ uns nicht erahnen, dass wir Ende März noch immer an den Nachwehen der feucht-fröhlichen Nacht zehren werden.

Der Parkettboden ist rausgerissen, die Tapete hat das Zeitliche gesegnet, überall hängen Kabel aus der Wand. Du sitzt in der Küche, machst die Tür hinter dir zu und alles scheint wie immer. Mal abgesehen von der Dschungelatmosphäre, die durch die ganzen Pflanzen entsteht, welche sonst in der Wohnung verteilt sind. Und abgesehen von dem Dreck, den du jedes Mal reinträgst, wenn du die Küche betrittst. 

"Wie könnt ihr hier nur wohnen?", fragen sie von außen und ahnen nicht, wie wunderschön es sich hier lebt. Schon im alten Sparta wussten sie, dass man nicht viel im Leben braucht. Du verlässt die Küche, stolperst über eine der verbliebenen Querleisten, die daran erinnern, dass die Wohnung normalerweise fünf Zentimeter höher liegt und schaust in dein Zimmer. Da stehst es: dein Bett, in dem sich - mehr noch als sonst - der Großteil der Zeit zu Hause abspielt, daneben ein Pappkarton, der als Schreibtisch dient und der Koffer, aus dem du seit Wochen lebst. 

Wieder in der Küche, willst du eine von Hundert Seiten lochen, die du im letzten halben Jahr mit mathematischen Formeln vollgeschieben hast. Dass du oftmals zu keinem sinnvoll erscheinenden Ergebnis kamst, ist weniger essentiell als die Frage: "Wo befindet sich der Locher?" Gepackt von Enthusiasmus schreitest du nach oben auf den Dachboden, wo seit Wochen all dein Hab und Gut parkt und durchsuchst die zahlreichen Kisten. Frei nach Murphys Gesetz findest du den Locher natürlich erst in der letzten aller Kisten, ganz hinten in der Ecke, neben den fünf Brettern, die mal dein Bücherregal waren. 

Endlich! Wieder in der Küche. Die Seite ist gelocht. Du fragst dich, wie lange das noch so weitergehen soll? Und: wie lange wohnst du eigentlich schon in diesem Zustand? Drei Wochen, so hieß es, muss die Wohnung ohne Boden und Tapete trocknen. Niemand hat erwähnt, dass der Parkettleger noch eine Woche braucht, um ein Angebot zu erstellen. Niemand konnte vorher wissen, dass das Angebot dann noch eine Woche Urlaub auf der Ablage der Hausverwaltung macht, natürlich mit unterster Priorität, die Hausverwaltung muss ja schließlich noch zahlreiche andere Häuser verwalten. Und wie soll man denn auch arbeiten, wenn dauernd irgendwer anruft, um sich zu erkundigen, wann das Angebot denn endlich eine Ablage weiter nach oben rutscht? Niemand hat dir erzählt, dass die Versicherung eine Woche brauchen wird, bis sie das Angebot genehmigen kann, denn der zuständige Mitarbeiter war ganz plötzlich verreist. Niemand wusste schließlich, dass wenn das Angebot dann mal genehmigt ist, das Holz für die neuen Dielen erstmal bestellt werden muss. Holz gibt es natürlich nur an einem Ort zu erwerben: bei IKEA. Ist das Holz dann bestellt, beträgt die Lieferzeit aus Schweden drei bis vier Wochen. Das konnte nun wirklich niemand ahnen. 

Du sitzt also in der Küche und merkst, wie du plötzlich nur noch in Wochen denkst. Wie lange dauert es wohl, bis die Dielen dann verlegt sind? Bestimmt eine Woche. Abgeschliffen werden müssen sie noch, so heißt es, und lackiert. Und dann  ist die Wohnung immer noch nicht tapeziert. Hm - bestimmt eine Woche. Ängstlich drängt sich dir die Frage auf, ob man Tapete erst bestellen muss und aus welchem skandinavischen Land diese dann geliefert wird. Aber das kann ja zum jetzigen Zeitpunkt nun wirklich keiner wissen. Bis dahin machst du einfach die Küchentur hinter dir zu, denn dann scheint alles wie immer zu sein. Mal abgesehen von der Dschungelatmosphäre. Und dem Dreck, den du immer reinträgst.

23 janvier 2013

Bibliothek 2.0 - Schein oder nicht Schein: Ist das noch die Frage?

Zum Studieren gehört das stundenlange Sitzen in Bibliotheken. Bücher lesen, Hausarbeiten schreiben, anstehende Klausuren vorbereiten sind einige der naheliegende Aktivitäten. Nicht so im 21. Jahrhundert.

In vielerlei Hinsicht unterscheiden sich Frankfurt und Leipzig voneinander. Eine Sache haben sie jedoch mindestens gemeinsam: die Tradition als Buch- und Verlagsstadt, die alljährliche Buchmesse und die Deutsche Nationalbibliothek.

Standort Leipzig, Quelle: DNB

Aus aktuellem Anlass verbringte ich momentan viel Zeit in der Nationalbibliothek. Freilich nicht so schön, erinnert sie mich vom Ambiente jedoch ein wenig an die Albertina: ruhige, angenehme Arbeitsatmosphäre, die Besucher kommen mit klarem Ziel, alle sind sehr konzentriert und interessieren sich nur für sich selbst und sehr wenig für die Person, die einem gegenüber sitzt (nicht hunderprozentig der Wahrheit entsprechend;). Alles in allem ein sehr motivierendes Umfeld. 

Standort Frankfurt, Quelle: DNB
Auch die Leipziger Campus-Bibliothek hat ein Pendant. Auf dem neuen Uni-Campus im Frankfurter Stadtteil Westend findet sich die Bibliothek der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Hier geht es nicht darum zu lernen, zu studieren oder gar ein Buch zu lesen. Der Schein trügt - auch wenn hier jeder irgendein Script, die Vorlesungsnotizen oder den Schönfelder vor sich stehen hat. 

In erster Linie geht es hier ganz klar ums Sehen und Gesehen werden, es wird viel gelacht, laut geredet. Auch Spotted erfreut sich ansteigender Beliebtheit, 90 Prozent der Posts werden vermutlich hier verfasst. Aufgrund der anstehenden Prüfungsphase fühlen sich jede Woche mehr Menschen bemüßigt, den Schein zu wahren. Die Wege gleichen Laufstegen. Man selbst fühlt sich permanent under dressed und zunehmend fehl am Platz.

Vielleicht bin ich spießig, aber: das nervt in einer Bibliothek. Ich will hier nicht die neueste Folge von "Grey's Anatomy" verfolgen müssen (woanders eigentlich auch nicht;), nicht hören, wie Davids letzter Abend im "Gibson" verlief und auch nicht riechen, wenn die Fingernägel von gegenüber nochmal schnell nachlakiert werden. 

Bis heute habe ich keine Antwort auf die Frage gefunden, warum das alles in einer Bibliothek geschehen muss. Ja, ich bin spießig: Ich will hier meine Ruhe. Ist das zu viel verlangt? Übrigens: Die neue Primark-Filiale auf der Zeil eröffnet am 14. Februar. Zum Valentinstag. Endlich weiß ich Bescheid. Back to work.


16 janvier 2013

Am Anfang war das Wasser, Teil 1

Tiefschlaf. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Die Tür wird aufgerissen. Du erwachst. Und in deiner Wohnung steht drei Zentimeter hoch Wasser. Kein Traum. Sondern die nackte Realität.

Kurz vor Weihnachten also ein besonderes Geschenk. Ein Wasserschaden ist so ein Ereignis aus der Kategorie „passiert-immer-nur-den-anderen-aber-garantiert-nicht-einem-selbst“. Und dann passiert er doch. Roboterartig versucht man das Richtige zu tun und ist dabei doch vollkommen überfordert. Groteske Szenerien spielen sich ab: Die Feuerwehr steht auf dem Schlauch. Die „Unter-Nachbarn“ sind im Urlaub, auch noch auf einem anderen Kontinent. Die Polizei darf die Tür aufbrechen, jedoch nur um zu schauen, ob Gefahr im Verzug ist. Dass der Laptop im Regen steht, darf vorerst keinen interessieren. Plötzlich steht ein Krankenwagen vor dem Haus. Ist der nicht mehr ganz so jungen Nachbarin vor Aufregung etwas passiert? Nein, sie ist nur ausgerutscht und hingefallen.  Alles halb so wild, „denn es ist niemand erschossen worden wie in diesem Amerika“ (Zitat, nicht mehr ganz so junge Nachbarin). Das Treppenhaus gleicht den Niagarafällen. Zwei Tauben kacken den Dachboden voll. Aber das passiert ja immer nur den anderen und garantiert nicht einem selbst. „Ihr werdet alle sterben“ (Zitat, Einsatzleiter Feuerwehr).

Und so läuft man nach drei Stunden Schlaf und heller Aufregung noch eine Weile wie ein Zombie herum. Jeder reagiert anderes auf die Situation – wobei: Geteiltes Leid ist doch halbes Leid. Stimmt das? Welche Versicherung greift hier? Sind wir überhaupt versichert? Wer hat Schuld? Dann kommen die Trockenmaschinen. Sie müssen einmal pro Tag geleert werden und machen das folgende dezente Geräusch „WWWHHHH&&&&&&&%%%%%%%“ (Zitat, Trockenmaschine). Einmal pro Tag geleert werden... War da nicht Weihnachten? Egal. Bis ins neue Jahr ist wieder alles gut.
 
„WWWHHHH&&&&&&&%%%%%%%“
. Das neue Jahr beginnt. Plötzlich gleicht das Holzparkett, das doch von allen Seiten so gelobt wird, einem mittelhohen Gebirge. „Ihr könnt ja eine Murmelbahn daraus bauen“ (Zitat, Gutachterin Versicherung). Das Parkett in der gesamten Wohnung muss raus, anschließend der Boden drei Wochen lang austrocknen. Und das geht nur, wenn sich nichts mehr in der Wohnung befindet: keine Möbel, keine „Klamoden“ (Zitat, Mitbewohnerin), keine Menschen. Unter dem Parkett kommt eine erdeähnliche Substanz zum Vorschein. Wahrscheinlich Erde. Frohes neues Jahr!

Übrigens: neu tapeziert werden muss auch. „Wir haben Spaß am zerstören" (Zitat, Bauarbeiter). Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Immerhin wird somit mal general-aufgeräumt. Und am Ende sieht es bestimmt besser aus als vorher. Mal abgesehen von der weißen Raufasertapete, welche die alte, hässliche, wunderschöne Tapete ersetzen wird. Leider verschwindet so auch der Charme des Unfertigen, der doch von allen Seiten so gelobt wird. Aber alles halb so wild, „denn es ist niemand erschossen worden wie in diesem Amerika“ (Zitat, nicht mehr ganz so junge Nachbarin)

Dann sitzt man also in dieser gar nicht so wilden Misere und sucht ein Obdach. Drei Tage raus (die optimistische Schätzung). Doch bevor man überhaupt jemanden fragen kann, hat man schon vier, fünf Schlafplätze angeboten bekommen. Frei von jeglichem Sarkasmus, frei von Verbitterung oder Humor ist das nun wirklich ein sehr gutes Gefühl! „Danke!" (Zitat, ich)


Fortsetzungen: Teil 2, Teil 3, Teil 4.