6 novembre 2013

Ein Hologramm für den König

Dave Eggers' Roman ist sicher kein Epos wie Alaa al-Aswanis „Der Jakubijân-Bau“. Dafür spricht schon, dass der Autor kein Saudi sondern Amerikaner ist. Nichtsdestotrotz gibt er einige interessante Einblicke in die saudi-arabische Gesellschaft. Vielmehr noch beschäftigt er sich aber mit dem Niedergang der USA als führende Wirtschaftsmacht.

An der saudischen Küste des Roten Meeres soll eine neue Stadt entstehen, die sich am Vorbild Dubais orientiert: Die King Abdullah Economic City (KAEC). Im Jahr 2005 gab Abdullah tatsächlich den Startschuss für das Mega-Projekt. Abseits der übrigen saudischen Gesellschaft sollen Frauen in KAEC sogar ein paar Rechte haben, zum Beispiel soll ihnen erlaubt werden, Auto zu fahren. Hauptcharakter des Romans ist Alan Clay, der für eine amerikanische Firma den Auftrag an Land ziehen soll, die gesamte IT-Infrastruktur in KAEC aufzubauen. Im Mittelpunkt seiner Präsentation steht eine Technik, die ein lebensgroßes Hologramm der Person, mit der man gerade telefoniert, in den Raum projiziert. Von allem überzeugt werden muss natürlich vorher noch König Abdullah, schließlich geht es ja um die Millionen der saudischen Königsfamilie. 


Aber Abdullah scheint sich nicht (mehr) sonderlich für das Mega-Projekt zu interessieren (wie das in der Realität aussieht, ist unbekannt). So müssen Alan und sein Team ihre Präsentation in einem riesigen Zelt aufbauen, in dem zunächst weder Klimaanlage noch W-Lan funktionieren (zumindest eine Internetverbindung ist für die Übertragung eines Hologramms aus London nicht ganz unwesentlich). Jeden Tag aufs Neue verharren sie in dem Zelt und warten auf die Anreise des Königs - sie werden jeden Tag aufs Neue vertröstet:
"- Dann sind Sie also hier, um sich ein Bild von der Lage zu machen, sagte sie, drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an.
- Ich versuche wirklich bloß, mir ein Bild von der zeitlichen Planung zu machen. Wann wir damit rechnen können, irgendwas Neues über den König zu erfahren, so was eben.
- Was hat man Ihnen erzählt? Ich hoffe, die haben Ihnen nichts versprochen.
- Nein, nein, sagte er. Die haben sich recht deutlich geäußert. Aber ich hoffe dennoch, dass es bald soweit ist. (...)
- Tja, das wäre gut für uns alle. Der König war schon eine Weile nicht mehr hier.

- Wie lange ist eine Weile?
- Nun ja, ich bin seit achtzehn Monaten hier, und er hat sich noch kein einziges Mal blicken lassen." 
Alan Clay steht dabei sinnbildich für den Niedergang der Weltmacht Amerika. Mitte 50, verschuldet, kann er die Studiengebühren für seine Tochter nicht mehr bezahlen und liegt darüber im ständigen Clinch mit seiner Ex-Frau. Er war führend beteiligt an der Verlagerung von Produktionsschritten mehrerer Unternehmen aus den USA in Niedriglohnländer und scheiterte letztendlich an seinen eigenen Rationalisierungsmaßnahmen. Metaphorisch ist wohl auch seine Geschwülst im Nacken, die er mehrfach mit unsterilisierten Messern und Nadelstichen "untersucht" und von der er glaubt, dass sie - verbunden mit dem Rückenmark - für die ganze Misere verantwortlich sei. Die Schilderung dieser Vorgänge ist dabei so plastisch, dass es einem mehrfach kalt den Rücken runterläuft (ähnlich wie das Blut Alans, nachdem er das Messer/die Nadel entfernt hat).
"Er ging zum Spiegel und fand die Nadel. Er hatten den Trick vom Kuchenbacken im Kopf - den Zahnstocher reinstecken, sehen, ob was kleben bleibt. Wenn er sauber rauskommt, ist der Kuchen fertig. 
Er sucht nach einem Streichholz. Er hatte keine Streichhölzer. Er war betrunken und hatte es satt, nach Sachen zu suchen. Die Nadel kam ihm steril genug vor. Er drehte sich zum Spiegel, hielt die Geschwulst mit der linken Hand, die Nadel in der rechten und zielte. (...)"
Die Zeit des Wartens - zu keiner Zeit ist klar, ob Abdullah heute, nächste Woche oder Ende nächsten Monats auftauchen wird - bringt Alan mehr oder weniger freiwillige Einblicke in die saudische Gesellschaft. Bei einem Roadtrip mit seinem Fahrer Yousuf, mit welchem er sich anfreundet, lernt Alan, dass sein Humor mal mehr, mal weniger gut ankommt. Im Haus der Ärztin, die ihm die Geschülst entfernt, gehen beide mit Männershorts und oberkörperfrei schnorcheln, weil es dann für die Nachbarn von oben so aussieht, als seien zwei Männer im Wasser. Und auf einer Party in der dänischen Botschaft lernt er die Vorzüge illegal gebrannten Alkohols kennen.

"-Salam, sagte er.
- Salam, sagte Alan.
- Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen.
- Nein, danke. Ich gehe bloß spazieren. 
- Machen Sie Fotos?
- Ja, richtig. Wunderschöner Morgen.
- Ich habe Sie von oben beobachtet. 
Alan sah sich um und versuchte abzuschätzen, von welcher Stelle weiter oben der Mann ihn beobachtet hatte. Der Mann lächelte grimmig. 
- Sie machen viele Fotos.
- Kann sein, sagte Alan. 
Irgendwas passierte hier, aber konnte nicht den Finger drauflegen. Dann wusste er es. 
- Amerikaner, fragte der Mann?
Ah. Wie immer spürte Alan spontan die Lust zu lügen.
- Ja, sagte er. 
- Die vielen Fotos. Arbeiten Sie für die CIA oder so?
Das Lächeln des Mannes wirkte jetzt echter, und das schien irgendwas in Alan zu lösen.
- Bloß freiberuflich, witzelte Alan. Nicht fest angestellt.
Der Kopf des Mannes schnellte ein wenig zurück, als hätte er etwas Unangenehmes gerochen, irgendwas Unnatürliches. Dann legte er den Gang ein, und weg war er."
Auch seine Potenz kann sinnbildlich für die amerikanische Wirtschaftskraft interpretiert werden, sie versagt immer dann, wenn sie gefordert wird. Durch die Briefe an seine Tochter, die er nie abschicken wird,  findet er mehr und mehr zu sich selbst. Die Beschreibung des Reichtums am Golf und der Armut in den Wüstenstädten sowie die gescheiterte Existenz Alans sind immer gewürzt mit Erinnerungen an bessere Zeiten und mit Globalisierungskritik.

Ob König Abdullah tatsächlich eines Tages in KAEC auftaucht, lass ich hier mal offen, um nicht das Ende zu verraten. Jedoch kommt es in diesem wunderbaren Roman gar nicht so sehr auf das Ende an. Ab Januar 2014 wird er übrigens verfilmt - leider mit Tom Hanks. Man sollte ihn unbedingt vorher noch lesen!

Zum Weiterlesen:
Eggers, D. (2013): Ein Hologramm für den König. Kiepenheuer & Witsch, Köln.