11 octobre 2012

The Sons of Rolf and Detlef: "Die Reise des Goldfischs"

Die Gefahr, zum Frankfurter Theaterkritiker zu werden, nehm ich doch gern in Kauf: Das wird sowieso nicht passieren, dafür komme ich viel zu selten in den Hochgenuss der (Hoch-)Kultur. Wenn es mich dennoch einmal in das Frankfurter Theaterleben verschlägt, sei es beispielsweise zu "Die Physiker" ins Schauspielhaus oder eben in die Schmiere zu "Die Reise des Goldfisch", hat es sich mehr als gelohnt. 

Natürlich habe ich viele der Pointen und Andeutungen nicht verstanden. Wenn Klischees über verschiedene Frankfurter Stadtteile im Staccato herausgeschossen werden, kann ich als Frankfurter-Neu-Würstchen nur schwer mithalten. Das macht aber nichts, denn gelacht habe ich trotzdem genug. 


Die Storyline ist simpel. Der zurückgebliebene, an mehr als einem Buchstabenfehler leidende Förderschüler Lukas kauft von gesammelten Flaschenpfand einen Goldfisch ohne Rückenflosse, den er liebevoll "Nemo" nennt. Beim Kauf einer gemischten Süßigkeitentüte in Susis Trinkhalle vergisst er den Beutel aus der Zoohandlung mitsamt Nemo. Der Goldfisch wird fortan weitergereicht und trifft dabei auf jede Menge skuriller Frankfurter Gestalten aus verschiedenen Stadtteilen und Vororten von Fechenheim über Kronberg bis nach Bäd(!) Vilbel...

Hinter der Inszenierung stehen das Komiker-Duo "The Sons of Rolf and Detlef", die mit "Der Reise des Goldfisch" seit 2006 ihr zweites Bühnenprogramm überaus erfolgreich platzierten. Das Ganze erinnert an das typische Theaterspiel der Parkbank, auf die Schauspieler unterschiedliche Rollen einnehmen und improvisieren. 

The Sons of Rolf and Detlef
Natürlich werden dabei Vorurteile und Stereotype bis unter die Gürtellinie ausgereizt. "The Sons of Rolf and Detlef" machen das aber mit soviel Humor, dass die Witze nur selten sehr flach sind. Am Ende des Abends geht man mit einer Mischung aus Mitleid und der Hoffnung nach Hause, dass es die Hälfte der Charaktere doch auf keinen Fall so im 'wahren Leben' geben kann. Eins steht jedenfalls fest: Es lohnt sich sehr "Die Reise des Goldfischs" von der Zoohandlung über Mülltonnen und Nidda bis hin zu dem abgestanden Rest in einer Binding-Flasche zu verfolgen!

Aktuelle Termine immer unter: www.sorad.de




10 septembre 2012

Die Lesebühne ihres Vertrauens

Wenn eines fehlt in Frankfurt, dann sind es kleine, witzige Events à la "Riskier dein Bier!", Poetry Slam oder Impro-Theater neben der freilich finanziell und inhaltlich wunderbar ausgestatteten  Hochkultur. Das dachte ich zumindest bis gestern, bevor ich die "Lesebühne ihres Vertrauens" entdeckte. 

"Wir machen kein Theater, verstellen uns nicht, das hier ist kein Wettbewerb. Wir lesen einfach nur Texte und singen Lieder." Mit diesem nur auf den ersten Blick banalen Satz eröffneten die Gastgeber den Abend. Und tatsächlich: hier ging es einmal nicht um Wettbewerb und Ausscheiden, sondern einfach nur um den Genuss, den Slamern beim Vorlesen ihrer selbstgeschriebenen Texte zuzuhören. 

Die Lesebühne ihres Vertrauens
Jeden zweiten Sonntag im Monat veranstalten Tilman Birr, Lisa Danulat, Elis und Severin Groebner die Lesebühne im Frankfurter Ponyhof. Zwar waren diesmal nur Tilman und Severin anwesend (nach spontaner, nicht repräsentativer Umfrage soll wohl Elis besonders gut sein, da er die "Portion Wahnsinn" mit bringt), die vermeintliche Lücke füllten sie jedoch mit den zwei überragenden Gästen Andreas Weber und André Herrmann.

Seit spätestens 2011 muss man sich nun nicht mehr nur in der Leipziger Poetry-Slam-Szene auskennen, um André Herrmann zu kennen. Gemeinsam mit seinem "Team totale Zerstörung" gewann er letztes Jahr die Slam-Meisterschaft in Hamburg. Beste Erkenntnis des Abends, in der sich die eine oder der andere bestens wiedererkennen dürfte, ist folgender Satz aus Andrés Geschichte über das alljährliche Ehemaligen-Treffen am 3. Weihnachtsfeiertag in einer sachsen-anhaltinischen Kleinstadt: "Da ich weder besonders gut im Zukunftspläne schmieden noch sonderlich spontan bin, bleibt wohl nur ein Überleben in der Faultierwelt".

Musikalisch nicht gaaanz sauber, humorvoll, grandios. Das alles ist die Lesebühne. Was lernen wir? In L.A. ist nur das Wetter gut (Tilman). Österreicher sind im Ausland so beliebt, weil sie sowieso für Deutsche gehalten werden, wenn sie sich daneben benehmen (Severin). Auch mit vierzig ist man noch ein Kind und soll sich ordentlich anziehen auf Familienfeiern (Andreas). Sabine muss weg (André). 

Die nächste Lesebühne kommt bestimmt. Und ich bin dabei.  



24 juillet 2012

Hipstertum trifft Schützenfest

Es geht ein Gespenst um in zahlreichen Großstädten - das Hipstertum. Berlin ist dabei wohl DIE (deutsche) Hipster-Hauptstadt. Das Label "Hipster" wird als Fremdzuschreibung meist negativ konnotiert, ob es überhaupt als Selbstzuschreibung verwendet wird, bleibt offen!? Verschiedene Stereo-Type aka Klischees sind jedoch eindeutig identifizierbar. Ein wenig Selbstironie ließ dabei die zweite Hipster-Olympiade vermuten. Ein Trugschluss? 

Der Blog Kultmucke.de veranstaltete nach 2011 nun schon zum zweiten Mal die weltweite Hipster-Olympiade:

Quelle: kultmucke.de
"Auch in diesem Jahr gibt es in Berlin Hipster, Fashion-Victims und Modekuriositäten wie Sand am Meer. Und was einst als ironischer Ausdruck des eigenen Individualismus begann, ist in vielen Berliner Innenstadtbezirken mittlerweile längst zum Breitensport geworden. Deshalb ist es wieder an der Zeit die Berliner Hipster gegeneinander antreten zu lassen und den „Hipster des Jahres 2012“ zu krönen."



In den olympischen Diziplinen Hornbrillen-Weitwurf, Mate-Kisten-Wettrennen, Hipster-Vintage-Bart-Basteln, Jutebeutel-Sackhüpfen, Skinny-Jeans-Tauziehen, Konsumprodukte-der-Preis-ist-heiß, Konfetti-Hürden-Lauf uvw. traten zwölf Teams gegeneinander an.

Mate-Kisten-Wettrennen

Die Beschreibung des Events und die geplanten "Sportarten" ließen ein sehr witziges, selbstironisches Event erwarten. Tatsächlich löste die Hipster-Olympiade mitunter das eine oder andere Schmunzeln aus. Sowohl Publikum als auch die teilnehmenden Athleten und Athletinnen würde man jedoch auf den ersten Blick größtenteils nichts als Hipster beschreiben. 


Jute-Beutel-Hüpfen festgehalten mit IPhone

Überhaupt wurde die Olympiade von den Veranstaltern und vielen Teilnehmenden viel zu ernst genommen. Wenn das Hip-Hopper-Team (ja, Hip-Hopper, nicht Hipster!) den Schiedsrichter anpöbelt, erinnert das eher an ein Fußball-Spiel zwischen dem 1. FC Lok und Dynamo Dresden. Und wenn die Moderatoren das Team "Die Dehnbaren" (sehr kreativ!), bestehend aus 12jährigen Mädels, vorstellt mit "ach ja, ab zwölf ist alles dehnbar", fühlt man sich nicht mehr wie auf einem hippen, frischen, alternativen Event, welches das Hipstertum selbstironisch auf die Schippe nimmt, sondern fühlt sich erinnert an die Bomben-Stimmung eines dieser tollen Dorffeste, auf denen der Schützenkönig zum Sieg die Weinkönigin serviert bekommt. Traurig, aber wahr.


16 juillet 2012

Der Jakubijân-Bau: Mikrokosmos der ägyptischen Gesellschaft?

Der ägyptische Autor Alaa al-Aswani veröffentlichte 2002 einen wahrhaft großen Roman über das Ägypten der frühen 1990er Jahre. Episoden über die Bewohner des Jakubijân-Baus in der Kairorer Innenstadt sollen dabei die ägyptische Gesellschaft in diesem Mikrokosmos widerspiegeln. Auch wenn es sich um eine fiktive Erzählung handelt, lässt sich vermuten, dass al-Aswani viele Elemente davon selbst erlebt hat. Nicht zuletzt befindet sich seine Zahnarzt-Praxis selbst im Jakubijân-Bau. 


"Im Jahre 1934 beschloss Hagop Jakubijân, Millionär und damals Oberhaupt der armenischen Gemeinschaft in Ägypten, ein grosses Wohnhaus zu errichten, das seinen Namen tragen sollte. Er wählte dafür die beste Stelle in der Sulaiman-Pascha-Straße und beauftragte mit dem Bau ein bekanntes italienisches Architekturbüro, das ihm einen überzeugenden Plan vorlegte: zehn eindrucksvolle Geschosse im prächtigen klassisch-europäischen Stil: Balkone, geschmückt mit steingehauenen griechischen Gesichtern, Säulen, Treppen und Gänge in naturbelassenem Marmor, ausserdem das neueste Modell eines Schindler-Aufzugs."
 Nun ist der Jakubijan-Bau nur Mittel zum Zweck, dient er doch dazu, sehr unterschiedliche Charaktere aus verschiedenen sozialen Schichten, unterschiedlichen Religionen und Herkünften, mit unterschiedlichen Werten, Erinnerungen, Bedürfnissen und Ansichten zusammenzubringen. Ihre jeweiligen Geschichten sind dabei zunächst unabhängig voneinander, sind aber durch zahlreiche Facetten miteinander verwoben. Die spannenden Erzählstränge sind jedoch noch viel aufregender, wenn man sich einmal vor Augen führt, was Alaa al-Aswani mit der Thematisierung von "Tabuthemen" wie Korruption, Homosexualität, Folter, sexueller Ausbeutung und islamistischer Gewalt in Ägypten (freilich vor dem sogenannten arabischen Frühling) ausgelöst haben muss.

Manchmal hat man den Eindruck, man liest eine ägyptische Seifenofer à la GZSZ, jedoch findet sich in dem unglaublich dichten Buch an nahezu jeder Stelle Kritik "an den herrschenden Verhältnissen". Al-Aswani erzählt die Geschichten von sehr vielen unterschiedlichen Charakteren, sodass man sehr oft den Überblick verliert und zurückschlagen muss auf die ersten Seiten, auf denen die Figuren beschrieben werden. Schon bald stellt sich jedoch heraus, dass vier, fünf Figuren besonders wichtig sind.


Der gealterte Casanova Saki Bey al-Dassûki ist dabei eine der unterhaltsamsten Personen. Er steht für die Glorifizierung der Zeit bis in die 1950er Jahre, in der Kairo noch eine sehr europäisch geprägte Stadt war. Solche Aussagen à la "Früher war sowieso alles besser" hörten wir auch selbst nicht selten im Rahmen des Field Trips nach Kairo. Melancholisch erinnert Saki sich an diese Zeit, hört Chansons von Edith Piaf und vermisst die Kneipen, die noch alkoholische Getränke ausschenkten.

"Saki Bey gehört zu jenen Männern, die dem weiblichen Charme hoffnungslos verfallen sind. Für ihn ist die Frau nicht eine Leidenschaft, die aufflammt und, sobald gesättigt, erstirbt, sondern ein Universum aus Faszination, die sich in immer neuen Bildern zeigt, verlockend vielfältig: die blühende, volle Brust mit den vorstehenden Spitzen wie köstliche Trauben; der frische, weiche Hintern, bebend, als erwartete er seinen Überraschungsangriff von hinten; die gefärbten Lippen, die Küsse schlürfen und genussvoll stöhnen; das Haar in all seinen Offenbarungen - lang und ruhig fallend oder kurz und wild mit krausen Zöpfen oder halblang und solide häuslich oder auch kurz als Bubikopf, Hinweis auf unübliche knabenhafte Sexarten; dann die Augen, ach diese Blicke, wie hinreißend sie sind, gleichgültig ob falsch oder geheimnisvoll, dreist oder scheu, oder gar tadelnd, zornig oder missbilligend."
Saki ist dabei der Vertreter einer höheren Schicht, die aber langsam dem Untergang geweiht ist. Ganz anders sind die Bewohner des Dachs zu betrachten. Vom übrigen Gebäude unabhängig wohnt dort eine eher ärmere Schicht, u.a. die Dienstboten und Hausmädchen der Bewohner des Jakubijân-Baus, die dort in spärlichen Kammern hausen, die ursprünglich als Abstellkabuffs gedacht waren. Die Kinder rennen barfuss und halbnackt herum. Die Frauen verbringen den Tag damit, Essen zu kochen und miteinander zu streiten. Buthaina und Taha sind zunächst ein Paar, bevor sie sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickeln, jedoch beide gefangen in einer Auswegslosigkeit, weil sie mehr wollen, als ihnen zu steht. Taha wird nicht auf der Polizeischule aufgenommen, weil er nicht genügend Geld hat, die Polizisten zu schmieren und wendet sich anschließend dem islamischen Fundamentalismus zu. Buthaina kommt erst innerhalb ihrer verschiedenen Jobs weiter, in dem sie feststellt, dass sie "einen schönen, erregenden Körper besitzt, dass ihre großen honigfarbenen Augen, ihre vollen Lippen, ihre kräftige Brust und ihr wohl gerundeter Hintern mit seinen wippenden Backen, dass all dies wichtige Accessoires im Umgang mit anderen Menschen sind" und  ihren Körper zu verkaufen beginnt.

Dem Neurreichen Hagg Muhammed Asâm folgen wir auf dem Weg ins ägyptische Parlament. Seinen Parlamentssitz hat er sich dabei vom Generalsekretär der regierenden Partei erkauft. ("Also bitte, Sie reden mit Kamal al-Fuli. Dreißig Jahre Parlamentserfahrung. Es gibt keinen Kandidaten in unserem geliebten Ägypten, der ohne unsere Zustimmung siegen würde, so Gott will.") Im privaten muss er sich mit seiner Zweitehefrau rumschlagen, für die er eineWohnung im Jakubijân-Bau gemietet hat und von der seine erste Ehefrau nichts mitkriegen darf. Entgegen der Vereinbarung im Ehevertrag ist sie schwanger geworden. Als sie partout nichts von einer Abtreibung wissen will, zwingt Hagg sie dazu. Die geistigen Führer kommen dabei nicht weniger schlecht weg. Der eine, auf der Seite des Regimes, versucht die Ehefrau im  Namen des Islams zur Abtreibung zu bewegen. Der andere, gegen das Regime, predigt einen sehr fundamentalistischen Islam und bringt Taha (siehe oben) dazu, durch einen Terroranschlag in den Tod zu rennen. 

Wenn Alaa al-Aswanis also all diese Geschichten erzählt, thematisiert er dabei sicherlich so einiges, worüber sonst in Ägypten nicht gesprochen wurde, bspw. Zwangsabtreibung, Korruption, Prostitution, schmierige Geschäfte, Terrorismus und Folter. Das tägliche Leben in Ägypten kann dabei leicht mit einer überheblichen Distanz betrachtet werden. Man sollte jedoch stets aufpassen, dabei nicht mit einer eurozentristisch gefärbten Arroganz, die kranke und korrupte Gesellschaft zu beklagen. Einige Facetten der beschriebenen Gesellschaft sind dabei der "unseren" gar nicht so fern. 

Stets fesselnd und unterhaltsam und dabei nur selten unrealistisch(?) erzählt al-Aswani das Leben der Bewohner des Jakubijan-Baus. Die Lektüre seines Romans, der 2006 verfilmt wurde, sei hiermit jedem wärmstens empfohlen. 

 Al-Aswani, Alaa (2002): Der Jakubijan-Bau. Roman aus Ägypten



1 mai 2012

Sarkozy oder Hollande? Le Pen!

Sarkozy oder Hollande? Fast 50 Prozent der wahlberechtigten Franzosen interessierte diese Frage bei der ersten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahl nur am Rande. Das ist zunächst natürlich kein Problem. Das Eichhörnchen auf Koffein (Sarkozy) ist so unbeliebt wie noch kein amtierender Präsident vor ihm. Und Hollande besticht vor allem durch eins: Langeweile. Ein weiterer Name löst da viel mehr Emotionen aus (und das bereits bei allen Präsidentschaftswahlen seit 1974): Le Pen.*

16,9 Prozent setzten Frankreich im Jahre 2002 in Aufruhr. Jean-Marie Le Pen überholte damals überraschend den sozialistischen Kandidaten Jospin und zog in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen ein. Zehn Jahre später kann seine Tochter Marine (inzwischen Jean-Maries Nachfolgerin) diesen Coup nicht wiederholen. Dies stimmt jedoch nur auf den ersten Blick. Denn mit 18,5 Prozent erreicht sie heute über sechs Millionen Wählerinnen und Wähler (bei 45 Millionen Wahlberechtigten, wovon 36 Millionen gewählt haben).


Die äußerste Rechte hat in Frankreich eine lange Tradition. Offen zu Tage trat sie erstmals während der Französischen Revolution, die zwar allgemein als die Geburtsstunde des freiheitlichen Wertesystems gilt, aber auch einige erzkonservative Konterrevolutionäre auf den Plan rief. Im Laufe der Jahrhundert gab es weitere Wellen des Rechtsextremismus, beispielsweise in der sog. affaire Dreyfus oder in der französischen Kollobaration während des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1972 gründete sich schließlich die Front National (FN), die heute das entscheidende Sprachrohr des Rechtsextremismus und -populismus ist und inzwischen als drittstärkste politische Kraft Frankreichs gesehen werden kann.

Der inzwischen 83jährige Parteigründer Jean Marie Le Pen hat sich 2011 vom Parteivorsitz verabschiedet und seine jüngste Tochter (43) Marine zu seiner Nachfolgerin gemacht. Marine versucht nun, das Image ihres Vater einerseits zu konservieren und anderseits loszuwerden. Der Mann, der den deutschen Genozid an Juden für ein zu vernachlässigendes Detail der Geschichte hält, war eben doch eine Spur zu extrem. Marine tritt da wesentlich gemäßigter auf (oder tut zumindest so). Sie wettert gegen den Euro und die EU, gegen die Globalisierung und die Banken, gegen die kriminellen Ausländer und den Islam (à la: natürlich habe ich nichts gegen den Islam, nur leider sind Muslime eben übermäßig häufig kriminell), also die Art von Stammtischpopulismus, der zunehmend populärer wird. Die Gefahr ihrer Strategie einer "Entdämonisierung" der FN liegt natürlich darin, die wirklich radikalen Rechtsextremen zu verlieren. Aber auch diese Kader hält sie mit brillianter Rhetorik bei der Stange. So verglich sie 2011 die Straßengebete von Muslimen mit einer Besatzung "von Teilen staatlichen Territoriums". Niemals sprach sie den Vergleich mit der Nazi-Besatzung direkt aus ("Es gibt keine Panzer, keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es dennoch"), aber verstanden wurde sie trotzdem.


Die FN positioniert als "Systemfeind". Ihre Attraktivität gewinnt sie durch eine effiziente und sehr intelligente Propaganda. Die FN will so als einzige und letzte Hoffnung erscheinen, die in der Lage ist, den Bedürfnissen der Menschen nachzukommen. Ein zentrales Element ihres Diskurses ist dabei die Schaffung kollektiver Feindbilder. Ein erstes Feindbild beinhaltet alles, was die FN zum besagten System zählt (politische Klasse/Establishment). Ein weiteres Feindbild sind (wenig überraschend) Immigranten. So werden klare Grenzen zwischen "uns" und "ihnen", zwischen "den Franzosen" und "den Anderen", zwischen "den Guten" und "den Bösen" gezogen. Über Populismus, Nationalismus und Xenophobie wird versucht, die komplexer werdende Welt verständlicher zu machen. Die FN schafft so für viele ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine neue Identität, stiftet ein gemeinsames Feindbild und verbreitet ihr Weltbild unter ihren Anhängern und darüber hinaus. So konnte die FN über Jahre hinweg einen enormen sozialen Einfluss entwicklen.

Auch in Deutschland werden Diskurse über die vermeintliche Bedrohung durch Zuwanderer und "Deutsche mit Migrationshintergrund" geführt. Bauchgefühl-Tiraden mit angeblicher empirischer Bestätigung à la Sarazzin sind salonfähig. Nur hat sich das bisher nicht in Wahlerfolgen entsprechender Parteien niedergeschlagen. Zurück zu Frankreich: Die Grande Nation fühlt sich bedroht, spürt einen zunehmenden Einflussverlust in der Welt und muss mit steigender Arbeitslosigkeit, Armut und Staatsverschuldung kämpfen. Die ‚kleinen Leute‘ wählen schon lange nicht mehr linke Parteien der Arbeiterklasse, sondern die Front National.  


Wenn also über sechs Millionen Franzosen am rechten Rand wählen, dann ist das nur das offensichtliche Problem. Unabhängig von den tatsächlichen Wahlerfolgen hat die FN die öffentliche Meinung und auch den Diskurs der anderen Parteien maßgeblich beeinflusst. Le Pen hat immer wieder die gleichen Themen/"Wahrheiten" wiederholt, bis sie sich irgendwann wie schon-mal-gehört anhörten, populär wurden und inzwischen von einer breiten Masse unterstützt werden. Beispiele sind ‘problème de l’immigration’, ‘décadence’ oder auch ‘racisme anti-Français’. Wenn Sarkozy zurzeit versucht, die FN rechts zu überholen, dann kann er das nur machen, weil es fruchtet. Nichtsdestotrotz wird er von vielen FN-Wählern gehasst. Marine Le Pen soll insgeheim auf einen Wahlsieg Hollandes und eine anschließende Abspaltung rechter Teile von Sarkozys UMP hoffen, die sie in einer sich neu zu gründenden rechten Partei unter ihrem Vorsitz aufnimmt. Nächster Halt für Marine: Präsidentschaftswahl 2017. Ihr Einfluss wird bis dahin wachsen. Düstere Vorstellung.

* Erstveröffentlichung auf renardteipelke.blogspot.com 

10 avril 2012

Blogschau: Keine Chance gegen Technik, Kochen und Mode?

Angefangen als einer der Millionen "Ich-bin-dann-mal-im-Ausland-und-möchte-euch-das-auf-die-Nase-binden"-Tagebücher findet man auf dem Blog, den ich heute vorstellen möchte, inzwischen ein riesiges Themenspektrum. USA, Stadt, Reisen, Politik, Kultur - so die Top Five der Labels. Leider findet man zu den Themen "Russisch", "young/and/lost" oder "George Clooney" nur sehr wenig - hoffentlich ändert das Blogger bald, der unter dem Künstlernamen Renard Teipelke schreibt.

Festhalten an der Minderheitenmeinung bis zur Lächerlichkeit?

Seine besten Zeilen findet man wohl, wenn er der Meinung ist, eine Minderheitenposition zu vertreten. Als einer der letzten Fans der Harald Schmidt Show bedauert er "was die anderen nicht kapieren (wollen)" und rechnet dabei leidenschaftlich mit dem System der Quotenmessung, dem deutschen Fernsehverhalten und den Kommentaren der Medien zum Ende des "besten deutschen Entertainers" ab:

"Dennoch hat der User Recht, dass die Harald Schmidt Show auf ein bestimmtes Publikum abzielt – ein Publikum, welches sich auch über das Internet amerikanische TV-Serien (im Original) anschaut, weil sie hierzulande nicht von den Sendern gekauft, ewig nicht gezeigt oder katastrophal synchronisiert werden. Trotz der internen und externen Hilferufe hat sich in deutschen Senderzentralen nichts an der Sicht geändert, die Zuschauer seien dumm und dürften nur mit dem schlichtesten Programminhalten bedient werden."

Persönlichkeit und Disziplin

Durch und durch persönlich wird es, wenn Renard Teipelke (vermutlich auch als einer der Letzten) seine Vorsätze fürs neue Jahr erläutert und diese auch noch einhält. Nun kann man an der Sinnhaftigkeit des Zähneputzens mit der linken Hand zwar zweifeln, der Verzicht auf die Anschaffung neuer Kleidung ist jedoch nicht nur in höchstem Maße lobenswert sondern vermutlich auch ein Vorsatz, an dem so ziemlich jeder scheitern würde.

Auch die Kategorie "Renard in Gefahr" verspricht Unterhaltung pur. Und so ist der Versuch, den gnadenlosen Türsteher des Berliner Clubs Berghain zu überwinden, sogar von Erfolg gekrönt:

"Die hübsche 18-Jährige kommt nicht rein. Die Gruppe hipper Spanier muss weiterziehen. Das ältere Paar kommt rein. Das ordentliche Pärchen wird abgewiesen. Die beiden hübschen Alternativfrauen kommen nicht rein…und dann, ja dann, wird doch tatsächlich dieser Typ reingelassen: braune langweilige Winterhosen, braune alte No-Name-Schuhe, Wintermütze und Standardwinterjacke. Unglaublich! Sie quatschen auf dem Weg zur Tür des ehemals oder vielleicht immer noch besten und legendärsten Elektroclubs der Welt und dann kommen sie als eine der wenigen zu dieser Uhrzeit ins Berghain rein. [...] der Typ, der, nach dem was man so über die Türpolitik des Berghain liest, hätte nie reinkommen dürfen, das war meine (verdammt glückliche) Wenigkeit."

Von Listen und Rankings

Wenn der Blogger eins liebt, sind es Ranking. So kührt er nicht nur jedes Jahr „This Year’s Watch Out Person“- wobei er mit der zweimaligen Kür George W. Bush und Mahmoud Ahmadinejads reichlich unkreativ erscheint - sondern auch die für ihn besten Biersorten Deutschland und der Welt in Kategorien wie etwa "Kräftigkeit und Männlichkeit", "Charakter und Wiedererkennungswert", "Chillfaktor und Erfrischungseffekt" oder "Mir wird schlecht". Dass man hier nicht mit allem einverstanden ist, liegt in der Natur eines Rankings. Bei solch erfrischend geschriebenen Artikeln mit hohem Grad an Wiedererkennungswert wünscht man sich jedoch mehr davon.


Und dann wird der auch noch politisch...  

Die Analyse der Berliner Wahlkampfs bzw. der Wahlwerbung ist dabei nur einer der langweiligeren Posts, denn die Inhaltsleere der Parteislogans liegt auf der Hand. Wenn Teipelke uns jedoch erklärt, warum Universitäten links sein müssen, dann lesen wir ein leidenschaftliches Plädoyer eines sehr kritisch denkenden Menschens, dem die zunehmende Masse der sich selbst als "unpolitisch" bezeichnenden Menschen gehörig auf die Nerven geht:
"Es ist unglaublich schade, aber die Universität scheint der letzte Zufluchtsort für offenes, kritisches Denken zu sein – zumindest  ist dies mein Eindruck aus persönlichen Erfahrungen in Deutschland und den USA. Ich ziele überhaupt nicht auf eine Bekämpfung des Staates, des Kapitalismus‘, der Religion oder der Finanzmärkte. Aber es ist bedrückend, wie angepasst die Menschen sind, sobald sie ihre 20er hinter sich gelassen haben und in einer Institution aufgegangen sind. Wer einmal an Familie, Beruf, Wohnung und Altersvorsorge arbeitet, ziert sich vor allzu großen Veränderungen, die ihn im ‚schlimmsten‘ Fall auch selbst treffen könnten. Da gilt es zu bewahren. Das könnte man als Konservatismus bezeichnen."

Und so singe ich ein Loblied auf diesen Blog, der gerade durch sein breites Themenspektrum gefällt. Natürlich ist das genau sein Problem. Solche Generalisten-Blogs interessieren ja keinen und gehen in den themenspezifischen Blogs unter, die sich etwa mit Technik, Kochen oder Mode beschäftigen. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, dem sei der Blick auf renardteipelke.blogspot.com wärmstens ans Herz gelegt.

31 mars 2012

Kairo, die Letzte: Gewerkschaften als lebendige Demokratie

Mein Kairo-Aufenthalt liegt nun bereits über einen Monat zurück. Daher möchte ich die "lose Serie über Kairo" zu Ende bringen. Fraglich ist, ob man bei fünf Posts von einer Serie sprechen kann - zumal die Themen wirklich sehr spezielle Aspekte problematisiert haben. Das ist schlecht, denn es gäbe noch so viel weiteres zu erzählen. Wer Lust auf mehr hat, kann aber mal auf diesem Blog vorbei schauen. Heute ein weiteres, sehr spezielles Thema: die Gewerkschafsbewegung in Ägypten. 

Wenn in Deutschland die U-Bahnen im Depot bleiben, Kindergärten geschlossen sind und der Müll nicht abgeholt wird, gehört das zum ganz normalen gesetzlich geregelten Ablauf von Tarifverhandlungen. Am Ende konnte die Gewerkschaft Ver.di, die den öffentlichen Dienst vertritt, ein sattes Lohnplus für ihre Mitglieder und auch die nichtorganisierten Angestellten verbuchen. Streiks nerven immer die Betroffen, aber dafür sind sie da. Und man hat das Gefühl, dass solche Arbeitskämpfe trotz allem auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.

Sonnige Zukunft für die Gewerkschaftsbewegung?*
Wenn in Ägypten die Arbeit niedergelegt wird, ist das in erster Linie vor allem eins: illegal. Hinzu kommt, dass Streiks nicht gerade hoch angesehen sind in der ägyptischen Gesellschaft. Seit der ersten Gewerkschaftsgründung im 19. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung immer wieder staatlicher Repressionen ausgesetzt. Aktuell gilt nach wie vor das Gewerkschaftsgesetz von 1976, welches unabhängige Gewerkschaften verbietet. Arbeiter waren gewissermaßen zwangsorganisiert in einem hierarchischen und zentralisierten Gewerkschaftsverband, der dem ägyptischen Arbeitsministerium unterstellt war. 

Allgemein kann man von einem erodiertem Arbeitsrecht in Ägypten sprechen. Arbeiter müssen bei der Vertragsunterzeichung gleichzeitig ihre Kündigung unterschreiben. Diese wird dann zu gegebener Zeit herausgeholt und jegliche Proteste bzw. juristischen Vorgänge gegen einen Rauswurf werden damit im Keim erstickt - schließlich hat man ja selbst die Kündigung eingereicht. Darüber hinaus ist der ägyptische Arbeitsmarkt von sehr geringen Löhnen, einer hohen Arbeitslosigkeit und einem großen informellen Sektor (informell heißt dabei nicht illegal) geprägt.

Schon fünf Jahre vor dem sogenannten ägyptischen Frühling kam es jedoch immer wieder zu Arbeiterprotesten, die eine neue Intensität erreichten. 2009 konnte sich dann aufgrund zahlreicher internationaler Solidaritätsbekundungen die erste unabhängige Gewerkschaft etablieren. In Folge des Umbruchs seit Anfang 2011 gründeten sich über 200 weitere unabhängige Gewerkschaften sowie zwei unabhängige Dachverbände.


Generalstreik am Tahrir: Hohe Beteiligung sieht anders aus!
Inwieweit diese neue Gewerkschaftsbewegung eine positive Zukunft hat, bleibt abzuwarten. Die Entwicklungen seit Anfang 2011 stehen im Konflikt mit der nach wie vor bestehenden Gesetzgebung. Ein gemäß den Standards der International Labour Organisation (ILO) ausgearbeitetes, neues Gewerkschaftsgesetz wird bis heute vom Obersten Militärrat blockiert. Als am 11. Februar 2012 zum landesweiten Generalstreik aufgerufen wurde, war die Beteiligung nur sehr gering. Ein Generalstreik ist ein durchaus mächtiges Mittel, wie Griechen, Belgier oder Spanier immer wieder beweisen. In Deutschland ist ein solcher übrigens verboten. 

In einer zunehmend globalisierten Welt scheint sich das alte Machgefälle zwischen Arbeit und Kapital unaufhaltbar in Richtung Kapital zu verschieben. Gerade vor diesem Hintergrund ist eine starke, unabhängige Vertretung der Arbeiterinteressen von entscheidender Bedeutung. Nicht nur für ökonomische Überlegungen wie die Senkung von Armut, Herstellung sozialer Gerechtigkeit oder Begrenzung der Lohnunterschiede sind starke Gewerkschaften unabdingbar. Auch als demokratischer Akteur sind sie für die Gesellschaft enorm wichtig und stehen letzendlich als Zeichen für eine lebendige Demokratie. Teilen wir gemeinsam die Hoffnung, dass der Erfolg der ägyptischen Gewerkschaftsbeweung gelingt!

*Fotos von RT und DO.

15 mars 2012

Kairo, die Vierte: Graffiti in der politisierten Stadt

Zwar hat das ägyptische Volk erstmals in freier Wahl ein Parlament bestimmt, jedoch ist auch ein Jahr nach dem Beginn des politischen Umbruchs noch nicht alles perfekt. Die verfassungsgebende Versammlung soll ohne Frauen und Christen besetzt werden, die Wahl des Präsidenten wurde auf Juni verschoben und der Militärrat klammert sich mit aller Kraft an die Macht. Als Erfolgsgeschichte ist hingegen die zunehmende Politisierung der Menschen zu bezeichnen. Die zahlreichen Graffiti, die man überall in Kairo findet, sind vielleicht kein Beweis dafür, aber doch zumindest ein deutliches Indiz...*

 
 
 
 
  
To be continued.

*Fotos von RT, CM und DO.

4 mars 2012

Kairo, die Dritte: Mobilität und Infrastruktur

Ordnung, in das Chaos der Eindrücke zu bringen - das sollte das Ziel der losen Serie über Kairo sein. Wenn es heute um Mobilität und Infrastruktur in Kairo geht, steht im Grunde eher Chaos als Ordnung im Vordergrund.*

Autos sind das erste, was man in Kairo wahrnimmt. Warum? Nicht nur weil sie so zahlreich sind, sondern weil man sie mit (fast) allen Sinnen erlebt.  Solange der Motor noch anspringt, fährt in Kairo so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Den deutschen TÜV hätte dabei ein Großteil der Autos vermutlich schon vor zehn Jahren nicht überstanden. Ergebnis ist nur auf den ersten Blick die schiere Überlastung sämtlicher Straßen, denn: Wer will, kommt an.

Tahrir Square: Autos statt Protest
 Als Fußgänger kommt man hingegen nur mit hoher Aufmerksamkeit, einem ordentlichen Schuss Dreistigkeit und dem puren Überlebenswillen von A nach B oder aber auch einfach nur über die Straße. Frei nach dem Motto: „Hörst du mich Gefahr, ich lach dir ins Gesicht.“ Insofern ist die größte Bedrohung in Kairo nicht etwa Kriminalität, Militär oder Nachwehen der Revolution (das sowieso nicht), sondern vielmehr die, vom Auto überfahren zu werden.

Überhören kann man den Verkehr auch nicht. Hupen wird in Kairo sehr vielfältig eingesetzt. Vom gegenseitigen Grüßen über „Hey, hier fahre ich“ bis zum Ausleben der eigenen Aggression lässt sich vermutlich alles hineininterpretieren in das stets gleichklingende Hupgeräusch. Lustig wird es, wenn die zehn sich gegenseitigen blockierenden Autofahrer alle gleichzeitig anfangen zu hupen. Irgendwann gewöhnt man sich dran.
Alltägliches in Kairo

Zwar lässt sich zwischen den Fahrzeugen auch das ein oder andere Oldtimer-Schmuckstück entdecken. Überwiegend macht sich das Alter der Autos jedoch anderweitig bemerkbar: Es stinkt! Der Smog über Kairo kommt sicherlich nicht allein vom Verkehr, doch trägt dieser einen großen Teil dazu bei. Im Taxi sitzend hat man mitunter das Gefühl, der Auspuff ende direkt  unter dem Rücksitz. 

Taxis. Neben dem eher schlecht ausgebauten U-Bahnnetz und dem von mir unverstandenen Bussystem sind Taxis die einzige Möglichkeit, weitere Strecken zurückzulegen. An jeder Straßenecke  braucht man maximal eine Minute warten, bis ein Taxi vorbeikommt. Ständig wird versucht, einen über den Tisch zu ziehen. Aber wer würde das nicht machen? Überraschender ist, dass der Taxifahrer an sich (ich vereinfache geringfügig!)  keine Straßenkarten lesen kann. Auch die Wegbeschreibung auf Arabisch hilft nur bedingt weiter. Wenn der Taxifahrer den Ort (scheinbar) zielstrebig anfährt, lohnt es sich, noch zwei bis drei Mal nachzufragen, ob er verstanden hat, wohin man möchte. Ein Argument spricht jedoch auf jeden Fall für das Taxifahren: der kleine Preis.


Die Beschreibung des Kairoer Verkehrs klingt negativer als gewollt. All die beschriebenen Eindrücke sind jedoch in jeglicher Hinsicht wertvoll. Sei es die Betrachtung des Straßenverkehrs, der in Kairo funktioniert ohne überbordende Regeln. Oder Reflexionen zum Klimaschutz, der hier an ganz anderer Stelle ansetzen müsste, als die deutsche Perspektive vermuten würde.

To be continued.

* Erstveröffentlichung auf renardteipelke.blogspot.com  

27 février 2012

Kairo, die Zweite: Zamalek


Zwei aufregende Wochen in Kairo sind zu Ende. Die anfängliche Verunsicherung durch apokalyptisch angehauchte Reisewarnungen und hetzerische Medienartikel wurde alsbald durch spannende Eindrücke und interessante Begegnungen bis hin zur Reizüberflutung abgelöst. In loser Serie soll Ordnung in dieses Chaos gebracht werden. Heute: Zamalek.

Kairo ist eine Mega-City. Mit ihren ca. 16 Millionen Einwohnern (Metropolregion) streckt sie sich am Nil entlang und breitet sich mit rasantem Tempo in alle Himmelsrichtungen aus. Die Nil-Insel Zamalek unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht vom Rest der Stadt.


Nilinsel Zamalek (Quelle: Googlemaps)

Neben eher betagteren Ägyptern und Ägypterinnen wohnen und arbeiten auf Zamalek Menschen aus aller Welt, allen voran Diplomatinnen der zahlreichen Botschaften, die sich fast ausschließlich in diesem Viertel befinden, aber auch Entwicklungshelfer, Professorinnen und ausländische Hotelbesitzer. Ergebnis ist ein Viertel, welches mit dem Rest von Kairo nicht allzu viel gemein hat. Es ist teurer, sauberer, ruhiger, langweiliger.

Zamalek  (c) Renard Teipelke

Die Hälfte der Insel ist besteht aus einem „Sporting Club“, der mit Golf-, Tennis- und Fußballplätzen so ziemlich alles zu bieten hat, was das Sportler-Herz begehrt. Als Kontrastpunkt zum üblichen versmogten Kairo ist diese „grüne Lunge“ auch nicht zu verachten. Dumm nur, dass für den Eintritt aufs Gelände zunächst erst mal ein enormer Mitgliedsbeitrag zu bezahlen ist (Aufnahmegebühr ca. 10.000 Euro). Und in letzter Zeit wird diese Exklusivität auch noch von immer mehr Ägyptern geschmälert...



Zamalek Sporting Club (c) Renard Teipelke

Deutsche Diplomaten verbringen ihre Freizeit mit französischen Entwicklungshelfern, amerikanische Professorinnen treffen sich mit britischen Stiftungsarbeitern. Das mag man unterschiedlich bewerten; wenn man aber möglichst wenig von der ägyptischen Lebenswelt mitbekommen möchte, dann ist der Begriff der „Parallelgesellschaft“ gar nicht mehr so weit entfernt. Wenn die Ägypter dann noch auf die Idee kommen, eine Revolution anzuzetteln, kümmert es die Menschen aus Zamalek wenig: „Zamalek hat drei Brücken, da braucht man sechs Panzer und die Insel ist dicht.“ (O-Ton eines GIZ-Mitarbeiters). Und so kann man auf Zamalek -während auf dem 500 Meter entfernten Tahir-Platz für Demokratie und bessere Lebensbedingungen demonstriert wird - gemütlich seinen Cappuccino trinken und beherzt in sein Croissant beißen. Cheers.

To be continued.

9 février 2012

Kairo, die Erste

Im Jahr 2011 kam jemand auf die grandiose Idee, die Bewegungen für Demokratie und bessere (Über-)Lebensstandards im arabischen Raum, als "Arabischen Frühling" zu bezeichnen. Inzwischen wird von der sogenannten "Arabellion" gesprochen. Über die Kreativität der Wortschöpfungen lässt sich streiten, Fakt ist jedoch, dass sich seit nunmehr über 12 Monaten einiges getan hat. Tunesien schaut auf seine erste frei gewählte zivile Regierung, in Syrien geht das Morden weiter und in Ägypten merkt man so langsam, dass auch nach dem Sturz Mubaraks so einiges im Argen liegt. Spannend genug, um hinzufahren.

Während sich Europa über vermeintlich faule Griechen aufregt, die auch noch so "dreist" sind gegen die schmerzhaften Einsparungen zu protestieren, geht es in Ägypten teilweise um das nackte Überleben. Das neue Parlament hat sich gerade konsituiert, da zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass der Militärrat vieles will, aber auf keinen Fall seine Macht abgeben. Und dass Mubarak nur die Spitze des Problem war. Wer sich über die aktuelle Situation ein wenig mehr informieren möchte, dem sei diese sehr interessante Dokumentation empfohlen: 


Umso spannender ist es, sich das Ganze im Rahmen einer Exkursion mal vor Ort anzuschauen. Natürlich machen wir keinen Abenteuer-Tourismus. Das wäre unangebracht und gefährlich. Aber wir beschäftigen uns mit spannenden Themengebieten, die alle von den aktuellen Ereignissen beeinflusst werden. Beispielsweise wird die Situation der Arbeiter und Arbeiterinnen immer prekärer. In Ägypten gibt es nicht zuletzt so viele Werke transnationaler Unternehmen, weil die Lohnkosten so gering sind. Im Spannungsfeld des ägyptischen Umbruchs ergeben sich nun neue Chancen für den Aufbau einer vom Staat unabhängigen Gewerkschaftsbewegung. Ich erhoffe mir viel von den Gesprächen zur Thematik mit Akteuren wie dem CTUWS oder der Journalistin Nadine Skandar. Aber dazu später mehr. Zunächst auf eine erkenntnisreiche, eindrucksvolle Exkursion! Cheers. 

Gewerkschaften im Spannungsfeld des ägyptischen Umbruchs

Zum Weiterlesen:
Powision, Ausgabe 11: "Wege aus der Demokratie"



19 janvier 2012

Update: Mehr Verantwortung bei der Polizei

Vor einiger Zeit habe ich bereits über die Kampagne von Amnesty International "Mehr Verantwortung bei der Polizei" berichtet. Aufhänger waren Vorwürfe mutmaßlicher Misshandlung und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Polizisten. Amnesty hat die Kampagne nun beendet - mit gemischtem Erfolg.





In Brandenburg und Berlin wurde eine individuelle Kennzeichnung für alle Einheiten bereits beschlossen, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bremen ist sie in den Koalitionsverträgen vereinbart. Während in Brandenburg in diesem Jahr noch an der Umsetzung ab 1. Januar 2013 gearbeitet wird, sind in Berlin die umklappbaren Nummern- und Namensschilder bereits im Einsatz. Berlin ist somit das erste Bundesland, in dem alle uniformierten Polizeibeamten in der Praxis durch Namen oder Nummern individuell identifizierbar sind.

Die zweite Hauptforderung der Kampagne war die Einrichtung unabhängiger Untersuchungen im Falle mutmaßlicher Polizeigewalt. Leider hat sich in diesem Bereich bisher fast nichts getan. Lediglich Rheinland-Pfalz plant die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungsstelle.

Wem nicht mehr klar ist, welche Argumente für eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten und unabhängige Ermittlungen sprechen, möge dies im früheren Blog-Post nachlesen. Polizisten sollen hierbei nicht unter Generalverdacht gestellt werden, es soll aber überhaupt erstmal die Möglichkeit geschaffen werden, etwaigen Vergehen nachgehen zu können.

Vielleicht eine sehr individuelle Anmerkung zum Schluss: Wenn Polizisten nicht mehr "Freund und Helfer" sind, kein "Gefühl der Sicherheit" mehr ausstrahlen, ihre Präsenz vielmehr ein unangenehmes Gefühl verursacht, gar als "Bedrohung" wahrgenommen wird, dann läuft etwas falsch. Mir zumindest geht es (oft) so.


Zum Weiterlesen

Amnesty International zum Kampagnenabschluss

Menschenrechtkomissar des Europarates an Innenminister de Mazière

Die Welt: "Kennzeichnungspflicht für Berliner Polizei umgesetzt"