23 novembre 2011

"We can have sex with cats, but we cannot change the system"

Slavoj Žižek benutzt gern Sex-Metaphern. Überhaupt ist seine Sprache plakativ und provokativ - das macht er ganz bewusst; nicht zuletzt deshalb ist der Kapitalismuskritiker so berühmt geworden. Wenn er über Neoliberalismus als Idelogie spricht, sind seine Ausführungen jedoch nicht nur äußerst spannend, sondern auch überzeugend.

Als Žižek nach der Anmoderation der unter dem Titel "Gedankensquash" laufenden Veranstaltung den Moderator fragt, was denn Gedankensquash eigentlich sein soll, kann dieser keine wirkliche Antwort geben. Das liegt vermutlich daran, dass der Titel völlig egal ist - wer schon mal was von Žižek gehört/gelesen hat, weiß ohnehin, worüber er reden wird. Und so geht es dann auch weniger um sein jüngst auf deutsch erschienenes Buch "Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert.", sondern vielmehr um seine Sicht auf den Kapitalismus, Neoliberalismus und die weltweite (Finanz-)Krise. 

Quelle
Žižek ist Philosoph, Psychoanalytiker und einer der Popstars unter den Kapitalismuskritikern. Er selbst bezeichnet sich als "altmodischen Marxisten", der sich fragt, welche marxistische Revolution heute vorstellbar sei, angesichts der Verbrechen, die im Namen des Marxismus begangen worden sind. Auffallend ist die ausgeprägte Mimik und Gestik, die er benutzt, wenn er spricht. Fast schon wirkt er ein wenig verhaltensgestört, wenn er sich ständig das Mikro (Headset) vom Kopf reißt, in seinen Bart fasst oder in seine Hände schnäuzt. Sein Sprachfehler kommt erschwerend hinzu. All das spielt aber nur am Rande eine Rolle. Am Anfang unterhält er sich mit dem Moderator auf Deutsch, der es während des gesamten Vortrages ziemlich schwer hat ("I only insulte good friends"), bevor er dann "in die Sprache des Imperialismus" wechselt, in der er sich erkennbar sicherer fühlt. 

Žižek am 22.11.2011 im Literaturhaus Frankfurt
Er beginnt seine Ausführungen mit folgender Feststellung: "the situation is catastrophic, but we don't take it seriously". Eng verbunden ist damit der Begriff des Warenfetischismus von Marx, heute sind die gesellschaften Praktiken jedoch noch schlimmer; Menschen würden etwas denken, aber anders handeln als sie denken  - oder auch so tun, als ob etwas wahr wäre, auch wenn sie wissen, dass es falsch ist. Dieses ständige Sich-in-die-Tasche-Lügen fängt klein an bei Begrüßungsritualen ("Nice to meet you" - obwohl man eigentlich gern die Straßenseite gewechselt hätte) bis hin zum kapitalistischen System. So ist der Neoliberalismus heute zur Ideologie geworden, scheinbar real existierend und entfaltet damit eine enorme Wirkungsmacht. Er durchdringe alle Lebensbereiche, drei kleine Beispiele seien hier genannt:
1. Bologna-Reform: Studierende als sich selbst vermarktende Einheiten, deren Leistungen durch überall vergleichbare Credit Points ausgedrückt werden; Bildung kein Selbstzweck.
2.  "outsource your sex life": romantisches Element geht verloren, "fall in love" wird zu "to be in love without the fall"
3.  Angekündigtes und wieder abgesagtes Referendum in Griechenland. Sofort setzt bei uns der Schock ein - wie können die Griechen nur ("this is a serious economic question, why will you ask the people?")
Heute kann man global Bewegungen beobachten, die gegen die neoliberale Logik protestieren. Ihnen wird vorgeworfen, sie wüssten nicht, was sie wollen. Žižek sieht das nicht als Problem, er kann jedoch das Herumdoktern innerhalb des "Systems", ohne das System selbst abzuschaffen, nicht nachvollziehen. Das liberal-demokratische System der Repräsentation sei nicht mehr in der Lage, bspw. den globalen Finanzsektor zu kontrollieren. Der globale Kapitalismus unterminiere die Demokratie.


Žižek zur Krise der Demokratie auf Youtube:


“In the long term [...] the capitalism did always engender a demand for freedom, democracy and so on. [...] This eternal marriage between democracy and capitalism is approaching divorce. [...] Capitalism functions perfectly without democracy.”
Es reiche also nicht, den Kapitalismus in einer neoliberalen Logik zu zähmen, sondern diese vielmehr selbst in Frage zu stellen. Denn: "the light of the end of the tunnel  is probably a train". TINA-Argumente ("there is no alternative") lehnt Žižek ab. Die Menschheit kann zum Mond fliegen, wird demnächst den Mars ansteuern, im privaten sei eben jener Sex mit Tieren vorstellbar, aber sobald nach einem besseren Gesundheitssystem gefragt wird, soll dies unmöglich sein. 

Žižek bietet keine einfache Lösung an, er will zunächst die richtigen Fragen stellen. Wer gleich Forderungen formuliert, trete selbst in das Raster normierter Institutionen ein. Hier kann man ihm den Vorwurf machen, es sich zu leicht zu machen, vielleicht widerspricht er sich hier auch selbst. Allerdings ist doch genau dieses kritische Hinterfragen vermeintlich objektivierter Tatsachen sowie der Logiken, nach denen die Welt und man selbst ganz persönlich funktioniert, der Grundstein aller Veränderungen. Und die richtigen Fragen zu stellen, ist mit Žižek höchst unterhaltsam. 

Zum Weiterlesen:
Žižek, S. (2011): "Welcome to interesting times!", in Powision, 6(1), S. 58-63.

20 octobre 2011

"Fangen Sie an, Fritz"

Vor einiger Zeit habe ich bereits die Erinnerungen von Fritz Stern vorgestellt. In seinem Gesprächsband mit Helmut Schmidt stellt man einmal mehr fest, wie wichtig es ist, sich (unsere) Geschichte im eigenen Bewerten und Handeln stets vor Augen zu führen. Zwei Herren mit interessanter Biografie und inzwischen fortgeschrittenem Alter sprechen drei Tage miteinander. Am besten sind jene Stellen, an denen sie mal nicht einer Meinung sind.


Zentrales Thema ist natürlich der Nationalsozialismus - Stern ist Historiker, Amerikaner deutsch-jüdischer Herkunft, der aus Deutschland fliehen musste; Schmidt Alt-Bundeskanzler, Soldat im 2. Weltkrieg und Politiker der ersten Stunde nach dem Ende des Krieges. Sehr eindrucksvoll schildern sie ihre jeweiligen Eindrücke aus dieser Zeit, die selbstredend unterschiedlicher nicht sein können.

Persönlich ist mir bis heute nicht klar, dass bestimmte Dinge nicht gesehen wurden. Stern bemüht immer wieder Nietzsche, so zum Beispiel auch zur Erklärung dieses Phänomens: "[...] aus der innerlichsten Feigheit vor der Realität, die auch die Feigheit vor der Wahrheit ist." Er unterstellt den Deutschen eine Verdrängung der Wirklichkeit, quasi kein Nicht-Wahrnehmen, sondern ein Nicht-Wahrnehmen-Wollen. Das ist natürlich eine ziemlich große These, aber zumindest sollte sie doch nachdenklich stimmen. Und so beginnt auch die Diskussion der beiden:
Schmidt: [...] Ich muss Ihnen hier bekennen: Ich habe erst während des Krieges begriffen, dass die Nazis Verbrecher waren. [...] ich habe nur begriffen, dass die verrückt sind, nicht dass sie Verbrecher sind. [...]
Stern: Helmut, entschuldigen Sie, wenn ich es so sage: Dazu gehörte ein gewisser Wille, es nicht zu sehen. Dazu gehörte das, was Nietzsche die "Feigheit vor der Wahrheit" genannt hat. Die Realität war, dass die Nazis die Straße beherrschten in dem Sinne, dass sie Andersdenkende oder ehemalige politische Feinde oder Juden verhafteten, jeden, der ihnen nicht passte. [...] Diese Realität habe ich als Kind vollkommen begriffen.
[...]
Schmidt: [...] Ich glaube, den Deutschen war diese Ekel-Propaganda zuwider, man konnte es nicht mehr hören, dieses ewige "Der Jude ist schuld". Die Deutschen wolltes es eigentlich nicht wissen.
Stern: Das ist meines Erachtens ungeheuer wichtig: Sie wollten es nicht wissen. [...] (S. 78ff.)
Spontan ist man mit Stern auf einer Linie, wobei Schmidt an vielen verschiedenen Beispielen schildert, dass er nichts mitbekommen hat. Fraglich bleiben öffentliche Aktionen, die die Deutschen mitbekommen haben mussten, wie die Reichskristallnacht oder auch vermeintlich weniger schlimme Taten, wie die Bücherverbrennungen (Stern: [...] Das war an und für sich nicht zu begreifen, dass man im 20. Jahrhundert vor deutschen Universitäten große Scheiterhaufen  errichtet und Zehntausende von Büchern verbrennt und dass das schweigend hingenommen wird. [...] Es gibt kaum etwas, was so radikal primitiv, so babarisch wäre, wie Bücher zu verbrennen. Die Aktion [...] hätte eigentlich Ekel auslösen müssen, hätte dazu führen müssen, dass man sagt, wir können uns doch nicht von solchen Leuten regieren lassen. (S. 74f.))

Vom zentralen Thema des Nationalsozialismus kommen sie nie ganz weg, aber das ist auch gut so. Nicht minder interessant sind jedoch die anderen Themen, vom Aufstieg Chinas (Schmidt: "Es wäre nicht gerecht, die gegenwärtige Entwicklung Chinas als bloß ökonomischen Fortschritt zur klassifizieren.", S. 38), über die historische Bedeutung des Marxismus (Stern: "Aber ist ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit nicht notwendig, damit ein Gemeinwesen überhaupt funktionieren kann?", S. 240), bis hin zur heutigen FDP (Schmidt: "wie heißt er noch, Westerwelle", S. 132). Resultat ist ein sehr geistreiches und unterhaltsames Gespräch. Am Ende wünscht man sich, Helmut Schmidt und Fritz Stern hätten noch weitere drei Tage miteinander gesprochen.


Stern, Fritz; Schmidt, Helmut (2010): Unser Jahrhundert: ein Gespräch. München. Beck. 


20 septembre 2011

„Hoecker, Sie sind raus“ oder: Wie man eine Wohnung in Frankfurt findet, Part II

Ich war naiv. Davon auszugehen, dass eine unter sechs Wohnungen schon passen wird, war falsch. Dass sich alle Leute melden würden, zumindest um mir abzusagen, war auch so ein Fehlschluss. Wer keine Hobbys hat, sucht sich welche und mein neues schimpft sich wohl WG-Crawl.

+++ Leider habe ich das Zimmer jemand anderem gegeben. Ich wünsche dir aber trotzdem noch viel Erfolg bei der Suche +++

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. So plante ich, noch bevor ich von allen Leuten eine Rückmeldung erhalten habe (von einer gewissen Dame habe ich bis heute noch keine…) meinen nächsten Frankfurt-Trip. Diesmal traf ich u.a. sehr coole Polizei-Azubis, kleine Emo-Mädels (bei denen hätte ich dann wohl bald selbst neue Mitbewohner suchen müssen…) und einen Typen, der wahrscheinlich mehr Mäuse, Hamster und andere Kleintiere als Unterhosen hatte. Ich meine das alles (fast) wertfrei, denn immerhin ist es weniger an mir, meine  zukünftige Wohnung auszusuchen, sondern an den anderen, mich auszusuchen. 

+++ Nach reiflicher Überlegung haben wir uns für jemand anderes als neuen  Mitbewohner entschieden. Wir wünschen Dir dennoch alles erdenklich Gute und viel Glück bei der Suche nach einer neuen Bleibe +++
 
Okay - je mehr Wohnungen man sich anschaut, umso mehr potentielle negative Rückmeldungen erhält man auch. Doch zum Glück werden die Absagen nicht nur zahlreicher, sondern auch freundlicher. Diesmal standen neun Wohnungen auf meiner Liste. Dafür hatte ich drei Tage Zeit und dementsprechend auch einige Lücken im Zeitplan. Was macht man zwischen den Besichtigungen, wenn man so ein bis zwei Stunden Zeit hat? Eis essen. Den Spiegel lesen. Dom besichtigen. Leute beobachten. Eine Hose für sieben Euro (!) bei Primark (!!) kaufen. Inzwischen war ich wohl in 50% aller Frankfurter Neighborhoods und habe die Stadt vom 200m hohen Main-Tower von oben betrachtet. Erkenntnis: Frankfurt ist entgegen seinem Ruf echt schön. Ich freue mich auf diese Stadt.

+++ Wir haben uns für jemand anderen entschieden. Wir wünschen dir natürlich weiterhin viel Glück bei der Wohnungssuche, oder besser:  Wohnungsfindung +++

Es gibt viele gruselige Typen, die in dieser Stadt unterwegs sind. Daneben machte ich aber auch die eine oder andere nette Begegnung. Als ich im Supermarkt feststellen musste, dass ich nicht mal mehr genug Geld hatte, um die billigste Flasche Federweißer für meine Unterkunft als Dankeschön zu erwerben, sollte folgendes Gespräch beginnen: - „Wie viel fehlt denn?“ - „Zehn Cent.“ - „Kleiner hab ich es nicht.“, sagte die nette Seele und drückte mir einen Euro in die Hand…

+++ Hier kommt die allseits verhasste Mail. Wir haben uns leider für jemand anderes entschieden. Es nervt, ich weiß, ich habe auch viele Absagen bekommen, aber bei mir hat's auch noch geklappt! +++

Von A nach B zu kommen ist wohl in jeder Stadt teuer. Nach fünfmaligem Erwerb eines Tagestickets fragte mich eine Mitbewerberin (ja, auch diesmal blieben mir die Casting-Situationen nicht erspart), warum ich das Semesterticket denn noch nicht abgeholt hätte. Naja – vielleicht komme ich ja nur aus der ostdeutschen Provinz, aber bei uns beginnt das Semester erst ab Oktober. Ist in Frankfurt auch so, nur das Semesterticket gilt schon ab 01. September. Hm – gut zu wissen.  

+++ Es tut uns wirklich leid, aber wir haben das Zimmer an eine andere Bewerberin vergeben! Die Entscheidung fiel uns wirklich schwer und wir hoffen, dass du trotzdem noch ein schönes Zimmer findest. +++

Und am Ende jedes Tages kommt dieses dumpfe Magengefühl zurück (s.u.) ... Wie viele Absagen kann man noch ertragen? Einen dritter WG-Marathon wäre einfach nur schrecklich. Und wie sehe Plan D aus? Doch dann ist es blitzartig verschwunden, dieses Gefühl, denn tatsächlich geschehen ab und zu noch Zeichen und Wunder...

+++ Hier die versprochene, schnelle Antwort: wenn du magst, kannst du bei uns einziehen. +++
Diesmal also kein Cliffhanger.

(Teil 1: "Der Schwächste fliegt")

13 septembre 2011

„Der Schwächste fliegt“ oder: Wie man eine Wohnung in Frankfurt findet, Part I

Am Anfang war das Motivationsschreiben. Sechs Mal habe ich verschiedene Universitäten davon zu überzeugen versucht, dass genau ihr (und nur ihr) Masterprogramm meinen Wünschen entspricht, warum genau ich zu genau diesem Studium passe und warum ich so super motiviert bin. Labern kann ich zwar recht gut, doch natürlich war das schwierig. In Frankfurt/Main angenommen, wartete jedoch noch eine viel größere Herausforderung auf mich: Die Wohnungssuche.

Leipzig mit seinem ca. 20%igem Wohnungsleerstand ist ein Witz gegen Frankfurt. Die Nachfolge für mein Zimmer hier gestaltet sich entsprechend alles andere als leicht. Geeignete Leute, denen wir zusagen, wollen die Wohnung nicht. In Frankfurt hingegen erscheint es, als wäre eine WG-Zusage schwerer zu ergattern als ein Lotto-Gewinn. Zunächst sind da die Mietpreise. Anderthalb bis doppelt so viel Miete wie in Leipzig zahlt man für ein kleineres Zimmer; folglich schließt man einen großen Teil des Angebots schon aus, wenn man sich ein Miet-Limit setzt. Weiterhin ist nur von einer 10%igen Feedback-Quote auszugehen, sprich: Wenn ich zehn Anfragen abschicke, kommt eine Antwort zurück – und die kann dann durchaus auch lauten: „Tut mir leid, aber das Zimmer ist inzwischen schon vergeben“.

Mit viel Geduld habe ich mir dann doch ein umfangreiches Besichtigungsprogramm zusammenstellen können. Dabei sind natürlich Zeiten leichter zu koordinieren als Orte, sodass ich von einem Ende der Stadt gern mal zum anderen Ende und wieder zurück gefahren bin. Frühes Aufstehen am Sonntag und 60minütige Straßenbahn-Fahrt nach Fechenheim ersparen einem leider nicht ein freundliches „Ne… sorry, ich hab jetzt gestern schon jemand anderem zugesagt.“ ... Ist doch kein Problem – ich hab ja Zeit und suuuuper gute Laune – eine Vorwarnung ist in Zeiten von Web 2.0 und Mobiltelefonen auch  nicht zu erwarten....

Wird einem dann doch nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen, stehen Wohnungsrundgang und Kennenlern-Gespräch an. Und das immer und immer wieder. Tabus gibt’s dabei keine, Fragen aller Art gilt es zu beantworten:

Verhalten in Prüfungszeiten? Äh…
Handwerkliche Fähigkeiten? Naja…
Lautstärke des Subwoofers? Regelbar.
Sauberkeit? Regelbar. 
Kochkunst? Vorhanden.
Meinung zum Solidaritätszuschlag? Peinliche Pause.
Besonders angenehm sind sogenannte Mitbewohner-Castings mit mehreren Leuten, die alle in dieses eine Zimmer wollen. („und glaub mir, ich bin eigentlich auch kein fan von solchen wg-"castings", aber wir werden euch zu dritt einladen.“) Die Ärmel werden hochgekrempelt, die Nackenhaare stellen sich auf und die Gladiatorenkämpfe können beginnen: Geheucheltes Interesse für deine Mitbewerber, aufrechte Sitzhaltung, kleiner Gag am Ende des Satzes, die hochgezogene Augenbraue und weitere Mittel aus der Trickkiste. Bin ich jetzt im Recall? 

Dann gibt es da noch die Informatik-Studenten – „Irgendwann wird das mit der Konversation schwer“ (Klischee erfüllt – gilt natürlich nicht für bekannte Azubis ;)  - die Stewardessen – „Wir wollen schlafen!“ und die Kuschel-WGs – „Alles kann, nichts muss.“ Am Ende des Tages stellt sich dann dieses blöde Bauchgefühl ein, wenn man nicht weiß, ob der persönliche Favorit einen auch favorisiert...

Fortsetzung folgt. Leider. (Teil 2 "Hoecker, sie sind raus")

24 juillet 2011

Five Germanys I have known

Der amerikanische Historiker Fritz Stern ist in Deutschland v.a. durch seine Freundschaft zu Helmut Schmidt bekannt. Auf die "deutsche Frage" spezialisiert, hat er auch ganz persönliche Erinnerungen und Gedanken zu seinem Geburtsland. Diese schreibt er in seiner Autobiografie "Fünf Deutschland und ein Leben" nieder. Spannend, lehrreich, witzig -  das Buch ist sehr zu empfehlen.


Fünf verschiedene Deutschland hat Fritz Stern im Laufe seine Lebens erlebt: die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die BRD, die DDR und das wiedervereinigte Deutschland. Wenn man es genau nimmt, beschreibt er sogar ein sechstes - das Kaiserreich aus Briefen und Tagebucheinträgen seiner Eltern. Viel besser als es jedes geschichtswissenschaftliche Buch vermag, beschreibt Stern die Verhältnisse in den 1920er und 30er Jahren, so wie er sie erlebt hat. Die scheinbar geglückte Integration der deutschen Juden im Kaiserreich und der Weimarer Republik wird mit dem Aufstieg Hitlers und der NSDAP jäh gestoppt. Stern und seine Familie emigrieren in die USA, tief enttäuscht von ihrem Heimatland und v.a. ihren Mitbürgern. Höchst spannend ist die sich allmählich verändernde Bewertung der politischen Verhältnisse seitens seines Vaters, die ihnen am Ende keine Möglichkeit lassen, in Deutschland zu bleiben. Stern beschreibt den damaligen Werdegang kurz als "Angstweg". 

Angekommen in New York, verachtet Stern Deutschland. Diesen Hass überwindet er erst im Laufe der Zeit durch die historische Aufarbeitung der deutschen Geschichte, durch die Begegnung mit (deutschen) Zeitgenossen und durch spätere Reisen in die damalige BRD und DDR. Klaren Aussagen folgt immer eine fundierte Begründung. Die langen Analysen machen das Buch an vielen Stellen jedoch auch zäh. Da er in den USA lebt und lehrt, bewertet er die (Zeit-)Geschichte von außen, was insbesondere bei Urteilen über die DDR und ihre Bevölkerung zunächst skeptisch stimmt. Diese Perspektive macht das Buch jedoch sehr spannend, da es ihm gelingt, große Linien in der Entwicklung Deutschlands zu identifizieren, die er aber stetig mit kleinen Details und Anekdoten verbindet.   

Wer sich mit der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert beschäftigen möchte, die entlang des Lebens eines wahrlich großen Denkers erzählt wird, sollte "Fünf Deutschland und ein Leben" lesen. Neben kritisch-witzigen Kommentaren werden gleich noch ein paar Wissenslücken gefüllt oder wieder aufgefrischt. Sehr lesenswert ist ebenso das Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Fritz Stern über das 20. Jahrhundert. Es liest sich sehr gut, ist witzig und originell. Hier ein kurzer Auszug:
Helmut Schmidt: Da wir nun einmal bei dem Thema sind, Fritz: Ich hatte mir drei Fragen aufgeschrieben. Antisemitismus hat es in vielen europäischen Staaten gegeben. Meine Frage ist: Was waren die entscheidenden Ursachen dafür, dass der Antisemitismus sich in Deutschland bis zum millionenfachen Genozid übersteigern konnte. Oder anders gefragt: Wie groß darf unser Vertrauen darauf sein, dass wir Deutschen künftig psychotischen Gefährdungen erfolgreich widerstehen werden? Oder noch anders gefragt: Ist die deutsche Nation in höherem Maße verführbar als andere europäische Nationen – und warum ist das so? Das sind drei Fragen, die aber eigentlich auf ein und dieselbe Frage hinauslaufen. Und – mir fällt keine Patentantwort ein.
Fritz Stern: Die gibt’s auch nicht, eine Patentantwort. Aber ich möchte – 
Schmidt: Unter uns gesagt: Mein Vertrauen in die Kontinuität der deutschen Entwicklung ist nicht sonderlich groß. Die Deutschen bleiben eine verführbare Nation – in höherem Maße verführbar als andere. 
Stern: Alle Nationen sind verführbar, auch die amerikanische, bei der es allerdings noch nicht ausprobiert wurde. – Ich will versuchen, Ihre Frage Punkt für Punkt zu beantworten, mit Teilantworten auf Ihre verschiedenen Fragen, und dazu eben ein paar Notizen machen, damit ich mich richtig daran erinnere, also, wenn es Antisemitismus gab...
Schmidt: Nicht verstanden. 
Stern: Antisemitismus – 
Schmidt: Sie brauchen nicht laut reden, nur langsam. Ich versteh immer nur die Hälfte, die andere Hälfte muss ich kombinieren. Das habe ich gelernt. Aber wenn Sie zu schnell reden, kommt mein Computer nicht mit. Es ist eine Begleiterscheinung des Alters.
[...]
Literatur:

Stern, Fritz (2007): Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen. München: Beck. [engl. Five Germanys I have known]

Stern, Fritz; Schmidt, Helmut (2010): Unser Jahrhundert: ein Gespräch. München. Beck.

19 juillet 2011

Potter, liberal

Parteien auf der Leinwand: Was wir im Kino über SPD und FDP lernen

Am Freitagabend saßen wir, als hätten wir nichts schöneres zu tun, in einem Berliner Kino und schauten uns "18 Monate unter Genossen an", eine Dokumentation aus dem Innenleben der SPD. Der Film ist eine ganz wunderbare Momentaufnahme über den Zustand der ältesten deutschen Partei. Er hat genauso wenig zu erzählen wie diese momentan selbst. Unter Politikern hinterherlatschenden Cineastendarstellern sagt man auch: Es fehlt das Narrativ, dem Film wie den Sozen.

Umso größer ist unsere Freude darüber, dass diese Woche endlich die Harry Potter-Adaption Philipp Rösler und die Heiligtümer des Todes, Teil 2, anläuft. Im ersten Teil hatte Ihr-wisst-schon-wer seine Macht verloren, seien verfluchten Vorsitz niedergelegt und - anstatt umgehend durch das Verschwindekabinett zu disapparieren - seine Seele in insgesamt sieben Horkruxe ausgelagert, um sein politisches Ableben hinauszuzögern, darunter das Auswärtige Amt, die Schlange Kubicki und Philipp Rösler selbst. Beim Versuch, die übrigen Horkruxe zu zerstören, fällt Philipp Rösler in Teil 2 in ein Fass Vielsaft-Trank und hört sich nun an wie Ihr-wisst-schon-wer in der Kammer des Schreckes, der schwarz-gelben Koalition: "Ich will ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem." Traurig, traurig. Da macht sich der Halbblutprinz auf die Suche nach dem Stein der Weisen - und hat noch nicht mal ein eigenes Narrativ dabei! Die Liberalen, so lernen wir daraus, sind halt kein Orden des Phönix. Die FDP ist ihr ihr eigener Todesser.

(gefunden in DIE ZEIT, leider nicht online abrufbar)

19 mai 2011

Filmtipp: Todespolka.

Die letzten zwei Montage war ich in der Sneak Preview der Passage Kinos. Bei "Polnische Ostern" fand ich es ein wenig befremdlich, dass ein paar Leute mitten im Film den Saal verlassen haben - zugegeben, der Film war ziemlich flach, aber es ist eben auch die Sneak Preview mit Überraschungseffekt. Diese Woche verließ ca. 1/3 des Publikums den Saal - verständlicherweise, denn der Film war sehr anstrengend.

Der Film spielt "ein halbes Jahr nach der 'freundlichen Übernahme' durch die Bürgerpartei. [...] Die beim Volk beliebte populistische Politikerin Sieglinde Führer [haha!] sät Hass, Intoleranz und Gewalt. Nicht nur für Abweichler brechen schwere Zeiten an. [...]" (Film)




Im Mittelpunkt steht eine große Polkashow zu Ehren von Sieglinde Führer, in der neben Polka- und  österreichischer Volksmusik auch immer wieder die Dame selbst zu Wort kommt. Unter Sprechchören ("Siggi, Siggi, Siggi...") fordert sie den Austritt Österreichs aus der EU, die Abschiebung von (kriminellen) Ausländern sowie die Errichtung von Arbeitslagern für islamistische Terroristen, Homosexuelle, Kinderschänder und ähnliches 'Pack'. Übertragen wird das Event auf allen Kanälen im Fernsehen und läuft überall - auf der Tankstelle, auf der Polizeistation oder in den privaten Haushalten von denen, die es leider nicht persönlich zur Show geschafft haben.

Ein Medizinstudent, der dem Ganzen ablehnend gegenübersteht, wird von der Nachbarschaft kritisch beäugt und nimmt selbstverständlich Drogen. Nachbarin A: "Ich hab gehört, der spritzt sich Haschisch!" Sein farbiger Kommilitone besucht ihn ab und zu und wird natürlich gleich als sein Drogendealer abgestempelt. Nach und nach werden die Nachbarn eingeführt. Eine Familie ist schlimmer als die andere und allesamt glauben an die glorreiche Zukunft Österreichs mit Sieglinde Führer.

Die Story nimmt ihren Lauf als einer der Nachbarn seine Frau zum Sex zwingt und ihren Kopf dabei mehrmals gegen die Bettkante stößt. Im Glauben, sie sei tot, schleppt er sie in den Garten. Just in diesem Moment bekommt der Medizinstudent Besuch. Für die Nachbarn ist sofort klar: "Der Neger war's!" Es beginnt eine wilde Hetzjagd, zu deren Ende mehr Personen tot als lebendig sind.



Das alles ist unglaublich überzogen (als die Totgeglaubte wieder aufsteht, wird sie kurzerhand erschossen, um den anderen Mord zu vertuschen), manches hätte einfach nicht sein müssen und oft ist es einfach zu unrealistisch (der Chef des Polizeireviers ist der Cousin von Sieglinde). Aber darum geht es auch gar nicht. Das Groteske schockiert. Am Ende sind die einzig anständigen die Medizinstudenten, ein Mann mit geistiger Behinderung sowie eine Domina. Sie stehen den vermeintlich "braven Bürgern" gegenüber.

Das Erschreckende ist, dass Österreich (von weitem betrachtet) wirklich einen fragwürdigen Weg einschlägt. Ich kenne mich zu wenig mit dem Land aus, als dass ich eine fundierte Analyse liefern könnte. Verbot von Minaretten (weil sie nicht ins 'Landschaftsbild' passen), FPÖ und Haider-Kult sind da allerdings gefährliche Indizien. Damit steht Österreich wohl nicht allein in Europa und Deutschland ist keinesfalls besser. Ich erinnere nur an das meistverkaufte Buch 2010 ("meine rassistischen Äußerungen  waren aber gar nicht rassistisch gemeint! Darf ich jetzt in der SPD bleiben?"). Umso mehr brauchen wir eine engagierte Zivilgesellschaft, die couragiert auftritt und in der die Menschen gegenseitig auf sich acht geben. Dann nämlich können Filme, die heute noch Überzeichnungen sind, niemals Realität werden. Amen! 

16 mai 2011

Ordnung, die

Zustand der Aufgeräumtheit, in welchem sich die Welt gerade nicht befindet. Die Welt mit Ausnahme von: Sachsen. Nach Japan-GAU und Grünen-Sieg wirbt Tillichs Regierung in Baden-Württembergs Presse um Investoren: "In Sachsen ist die Welt noch in Ordnung!" steht da: "Kommen Sie zu uns!" Der Freistaat, so die Begründung, "unterstützt ohne Dogma und Ideologie moderne Techniken." Wann etwa das erste Atomkraftwerk an der Zwickauer Mulde in Betrieb gehen soll, verkündet die undogmatische Staatsregierung bislang nicht.

(gefunden in DIE ZEIT, leider nicht online abrufbar)

28 avril 2011

Würstchen vs. Erbse

Wenn ich mich in Diskussionen über Vegetarismus einmische, begebe ich mich gewiss auf unsicheres Terrain: Ökototalitarismus versus Liberalismus, Hedonismus versus Verantwortungsgefühl... Die Lösung könnte - wie so oft - in der Mitte liegen. Oder einfach in mehr Gelassenheit.

Am Anfang war die Idee. Das Studentenwerk wollte in regelmäßigen Abständen einen vegetarischen Tag in einer (!) ihrer Mensen durchführen - aus sehr unterschiedlichen Gründen. Für einen solchen gibts es deutschlandweit zahlreiche Beispiele, sowohl universitär als auch außerhalb der Universität. Vielerorts wird ein solcher Tag am Donnerstag durchgeführt. So entstand der Slogan "Donnerstag ist Veggietag" - wobei hier aber keinesfalls jeder Donnerstag gemeint war, sondern vielmehr - wie es nun der Fall ist - ein (!!) einziger (!!!) Donnerstag im Semester.


Zur Einbeziehung der Studierenden wurde der StudentInnenrat (StuRa) um eine Stellungnahme gebeten. Dieser sprach sich in sehr großer Mehrheit für eine Unterstützung des Veggietages aus. Das Studentenwerk hätte aber den Veggietag auch ohne Votum des StuRa-Plenums testweise durchgeführt.

Noch bevor der erste vegetarische Tag am 9.12. stattfand, formierte sich Protest unter den Studierenden. Es wurde die Online-Petition "Kein-Veggie-Tag" initiiert, die im Dezember 2010 von 70 Leuten unterzeichnet wurde. Darin heißt es "Wir entscheiden selbst, was wir für richtig halten! Wir lehnen ihren Empfehlungszwang dankend ab. Wir wollen weiterhin ein ausgewogenes Angebot in der Mensa am Park. Jeder soll seine Mahlzeit wählen können, wie es seinen Bedürfnissen entspricht." Das "Diktat der Pflanzenfresser" schränke die Freiheit aller Studierenden und sonstiger Mensagänger ein, sich für Fleisch  entscheiden zu können.

Auf der anderen Seite stehen die Verfechter des Veggie-Tages mit einem Appell an das Verantwortungsgefühl: "Bei aller Wichtigkeit des Rechts auf Selbstverwirklichung, sind die Argumente, die im Petitionstext vorkommen, fast ausschliesslich hedonistisch und lassen die Gegengewichte von Verantwortung, Pflichtgefühl, Mitleid, Einstehen für Schwächere usw. doch vollkommen außer Acht. Ich höre Euch laut nach Freiheit rufen, aber nicht eine Sekunde über Verantwortung nachdenken oder über Motive, die einen Schritt weiter gehen, als das Lustgefühl auf dem Teller." Selbstverständlich stehen hinter diesen Motiven v.a. Anhänger und Anhängerinnen des Vegetarismus als Ideologie.

Die Initiatorin des Veggie-Tages Angela Hölzel, Mitgeschäftsführerin des Studentenwerks, zeigt sich im Zeit-Artikel "Rohe Fleischeslust" vom Gegenwind überrascht: "Wie kann man unter intelligenten Menschen so unentspannt mit diesem Thema umgehen?" - wobei ich mit dem Begriff "Intelligenz" immer vorsichtig wäre.

Der nächste Veggie-Tag findet am 05. Mai in der Mensa am Park statt. Erneut rollt eine Protestwelle an. Jura-Studenten organisieren ein Protest-Würstchen-Grillen vor der Mensa. In der Einladung heißt es:
"Es geht um die Wurst! Wieder wird von Studentenwerk und StuRa ein Veggie-Tag in der Mensa am Park durchgeführt. Während es jeden Tag mindestens ein vegetarisches Gericht und vegane Nudeln gibt, werden hiermit tausende Fleischliebhaber diskriminiert. [...] Sind wir bei Mutti und Vati ausgezogen, um uns von unserer studentischen Pflichtvertretung erziehen zu lassen?"
Die originell-witzige Reaktion kommt prompt:
"Die Prinzessin auf der Erbse ist erzürnt! Während es geschätzte 300 Tage im Jahr Fleisch- und/oder Fischgerichte gibt, werden Erbsen in der Mensa nur an einem Bruchteil dieser Tage serviert; Millionen von ErbsenliebhaberInnen werden hiermit diskriminiert. [...] Sind wir bei unseren Pflegeeltern rausgeflogen und aus der Kirche ausgetreten, um uns von pupsenden BohnenesserInnen die Beilage diktieren zu lassen?"
Dogmatische Vegetarier und Vegetarierinnen nerven. Von perversen Zuständen in der Massentierhaltung, über katastrophale Folgen auf die Umwelt (Treibhausgase, Wasserverschwendung, Regenwaldzerstörung) bis hin zu Millionen hungernden Menschen auf der Erde lassen sich jedoch ihre Argumente nicht einfach wegwischen mit der Formel "Ich esse gerne Fleisch!".

Verantwortung sollte jeder übernehmen, auch wenn es manchmal weh tut. Nicht umsonst wollen wir auf erneuerbare Energien umschwenken, energieeffizienter leben oder weniger Schulden machen. Ein Weiter-So ohne Einbeziehen der Konsequenzen ist nicht akzeptabel. Ein allzu leichtsinniger Umgang mit Aids  mit dem Argument "Ohne Gummi macht es mehr Spaß" ginge in eine ähnliche Richtung.

Ob ein vegetarischer Tag das richtige Mittel ist, sei dahin gestellt. Die erhitzte Debatte zeigt jedoch, dass sich zumindest mit dem Thema "Fleischloses Essen" beschäftigt wird. Angesichts eines einzigen fleischlosen Tages pro Semester, der zur Aufklärung dienen soll, rate ich allerdings schlichtweg zur Gelassenheit.

Weiterführende Links:
Donnerstag ist Veggie-Tag
Zeit-Artikel vom 01.04.2011  
Schlatterblog (zugegeben - Bio ist ein anderes Thema als Vegetarismus...)

Möge die Diskussion eröffnet sein! Ich bitte schon mal, mir etwaige Polemik nachzusehen. Obwohl - das war Absicht ;)

15 avril 2011

Library 2.0

In Büchern stöbern, lesen, blättern, sie ausleihen und zurückgeben - viele Stunden verbrachte ich in Bibliotheken. Das Lesen in der Bibliothek gehört jedoch in 2011 allenfalls zu den Nebentätigkeiten. Naiv ist, wer glaubt, dass Bücher heute noch wichtig wären, um in die Bibliothek zu gehen. 

En raison de mon mémoire, je passe beaucoup de temps dans la bibliothèque pour le moment. Pourquoi va-t-on à la bibliothèque? Il y a plein de raisons différentes. Mais en ce moment je pense que lire des livres n'est plus la raison principale.

Il y a deux grandes bibliothèques de mon université qui ont l'air vraiment différent.

La bibliothèque "Albertina" est ma préférée. Elle est très calme, l'architecture est assez jolie, l'ambiance est agréable. Les gens y vont vraiment pour étudier, ils sont très concentrés - un fait qui est motivant. Tout le monde s'en fou des autres. Bien sûr c'est sympa de rencontrer des autres personnes pour faire une petite pause ou pour aller manger. Mais après on s'occupe exclusivement de ses affaires again.

La "Campus-Bibliothek" est vraiment différente. Là-bas, étudier n'est pas l'action principale. Les gens y vont pour voir et être vu, ils parlent très forts, ils rigolent etc. ... Peut-être, je suis trop pailleux, mais ça me dérange dans une bibliothèque. Quelques exemples encore pires: on regarde "Grey's Anatomy", on se vernit les ongles, on regarde des vêtements de l'H&M qu'on vient d'avoir acheté... Pourquoi fait-on ces choses dans la bibliothèque? Je n'ai pas encore trouvé une réponse.  

By the way, devinez où je me trouve pour le moment! oui...c'est ma faute. ;)  
Back to work.

22 février 2011

Monster, Mythos, Medium

"Wie war Hitler möglich? Wie konnten Hitler und der Nationalsozialismus, die für Krieg, Verbrechen und Völkermord verantwortlich waren, bis zum Schluss auf eine breite Akzeptanz in Deutschland bauen? Warum waren viele Deutsche bereit, ihr Handeln auf den »Führer« auszurichten und somit die NS-Diktatur aktiv zu unterstützen?" Eine Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums sucht nach Antworten - und das nur noch bis zum 27. Februar 2011.


Die Ausstellung ist die bislang erste, die sich explizit mit der Person Hitlers und den Beziehungen und Anziehungen Hitler/deutsche Bevölkerung auseinandersetzt. Überhaupt ist sie erst die zweite Ausstellung, die den Namen Hitlers im Titel trägt - aus Angst, die falschen Leute anzuziehen. Diese Angst blieb unbestätigt. Die Ausstellung besuchten bislang über 250.000 Menschen.

Quelle: Tagesspiegel/Foto: dpa


Quelle; Foto: dpa
Quelle; Foto: Sebastian Ahlers
Die Person Hitlers und die Faszination der Menschen zu ihm stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. In der Tat gewinnt man interessante Einblicke in Hitlers Jugend und seine Zeit als Soldat, in die Entstehung der NSDAP und das Um-sich-Scharen der späteren Führungsclique um Goebbels, Himmler, Röhm etc. Die biographische Annäherung liefert allerdings nur bedingt Erklärungen, wie die Figur "Hitler" aus seinem unscheinbaren, erfolgslosen jüngeren Ich wurde. Die Psychologie der Faszination wird versucht, über die umfangreichen Propagandainstrumentarien darzulegen - so bspw. das kollektive Sammeln fürs Winterhilfswerk, die KdF, die "Volksgemeinschaft", der Führerkult usw. Deutlich wird die ideologische Vereinnahmung der Gesellschaft v.a. durch Installationen, die die propagierte Wirklichkeit der (Opfer-)Realität gegenüberstellen. Interessant ist auch die Darstellung des Führerstaates. Im hyperbürokratischen Staatsapparat waren die Zuständigkeiten so zerfallen, dass die jeweils Verantwortlichen nur noch um die bestmögliche Ausführung des "Führerwillens" wetteiferten bzw. ihre Interpretation davon.

Quelle; Foto: Haus der Geschichte
Die Ausstellung spielt mit der Faszination, die Hitler auslöst (e) - und das bis heute. Im letzten Trakt wird die Auseinandersetzung mit Hitler nach 1945 dargelegt: So gab es fast kein Jahr, indem Hitler nicht Titelthema des Magazin SPIEGEL war. Auch zahlreiche satirische Abhandlungen werden gezeigt, wie Chaplins Film "Der große Diktator". Insgesamt bleiben die Ausgangsfragen jedoch weiterhin unbeantwortet, vielleicht werden sie uns immer ein Rätsel bleiben. Die Person Hitlers geht im Laufe der Ausstellung etwas verloren, dafür erhält man wieder mal einen guten Überblick über die NS-Geschichte. Wirklich neu ist also nichts (wie auch?) - die Ausstellung lohnt sich dennoch allemal. Bis zum 27. Februar ist sie noch geöffnet, wer sie besuchen will, sollte sich also beeilen!

Webauftritt der Ausstellung.

21 janvier 2011

Des Alten blonde Tochter

Jean Marie geht. Marine kommt. Le Pen bleibt. Der Führungswechsel bei der Front National (FN) wirft einige Fragen auf zur zukünftigen Entwicklung der FN, der politischen Landschaft Frankreichs und der Zukunft der "Grande Nation" elle-même.

Die äußerste Rechte hat in Frankreich eine lange Tradition. Offen zu Tage trat sie erstmals während der Französischen Revolution, die zwar allgemein als die Geburtsstunde des freiheitlichen Wertesystems gilt, aber auch einige erzkonservative Konterrevolutionäre auf den Plan rief. Im Laufe der Jahrhundert gab es weitere Wellen des Rechtsextremismus, beispielsweise in der sog. affaire Dreyfus oder in der französischen Kollobaration während des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1972 gründete sich schließlich die Front National, die heute das entscheidende Sprachrohr des Rechtsextremismus und -populismus ist und inzwischen als drittstärkste politische Kraft Frankreichs gesehen werden kann.

Der inzwischen 82jährige Parteigründer Jean Marie Le Pen hat sich jüngst vom Parteivorsitz verabschiedet und seine jüngste Tochter (42) Marine zu seiner Nachfolgerin gemacht. Daher könnte man die FN an einer Weggabelung vermuten: Verliert sie sich in der Bedeutungslosigkeit oder wird sie sogar noch stärker werden in Zukunft? Momentan spricht einiges für Zweiteres. Doch zunächst möchte ich die FN ein wenig charakterisieren.

(Quelle: Zeit Online)

Die FN ist zunächst eine Art Sammelbecken für alle erzkonservativen und rechtsextremen Tendenzen, ohne sich aber selbst als rechtsextrem zu bezeichnen.

« The extreme right ideology can be regarded as a developed system of ideas, whose utopian component compromises the refusal of the existing status quo. […] the ultimate goal is to change the established power relations and governing rules in contemporary society. » (Swyngedouw/Ivaldi 2001)
Dementsprechend positionniert sich die FN gegen das "System", wird zum Systemfeind. Gleichzeitig präsentiert sie sich als Alternative und wird für viele potentiell attraktiv. Verantwortlich dafür ist eine effiziente und m.E. sehr intelligente Propaganda, die über Diskurs und Symbolik funktioniert. Die FN will so als einzige und letzte Hoffnung erscheinen, die in der Lage ist, den Bedürfnissen der Menschen nachzukommen. Der Diskurs der FN schafft es, eine spezifische Art zu kreieren, die Welt zu betrachten und Probleme zu bewerten.  Ein zentrales Element dabei ist die Schaffung von kollektiven Feindbildern, die Orientierung bieten.  Ein erstes Feindbild beinhaltet alles, was die FN zum besagten System zählt (politische Klasse/Establishment).

Dieses Konzept  « embrace[s] all the other parties and tends to undermine differences between them. […] The FN’s picture of French politics is predominantly one of corruption, decay and increased party privilege. » (Swyngedouw/Ivaldi 2001)
Ein weiteres Feindbild sind (wenig überraschend) Immigranten. Die FN setzt drei auf den ersten Blick voneinander unabhängige Themen in einer Kausalkette zusammen: Immigration - Unsicherheit - Arbeitslosigkeit.

Le Pen « politicized immigration, portraying it as the major cause of increasing mass unemployment, high taxes and welfare costs, (sub)urban crime and insecurity» (DeAngelis 2003).

Er zieht klare Grenzen zwischen "uns" und "ihnen", zwischen "den Franzosen" und "den Anderen", zwischen "den Guten" und "den Bösen". Über Populismus, Nationalismus und Xenophobie wird versucht, die komplexer werdende Welt verständlicher zu machen. Die FN schafft so für viele ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine neue Identität, stiftet  ein gemeinsames Feindbild und verbreitet sein Weltbild unter ihren Anhängern und darüber hinaus. So konnte die FN über Jahre einen enormen sozialen Einfluss entwicklen. Lecoeur spricht von der "Lepenisierung der Gedanken". Unabhängig von den tatsächlichen Wahlerfolgen hat die FN die öffentliche Meinung und auch den Diskurs der anderen Parteien maßgeblich beeinflusst. Le Pen hat immer wieder die gleichen Themen/"Wahrheiten" wiederholt, bis sie sich irgendwann wie schon-mal-gehört anhörten, populär wurden und inzwischen von einer breiten Masse unterstützt werden. Beispiele sind ‘problème de l’immigration’, ‘décadence’ oder auch ‘racisme anti-Français’.

(Quelle: Spiegel Online)

Was sagt das alles über die Zukunft aus? Nun, die beschriebenen Phänomene bestehen auch heute nach wie vor und das nicht nur in Frankreich. Auch in Deutschland werden Diskurse über die vermeintliche Bedrohung durch Zuwanderer und Deutsche mit Migrationshintergrund geführt. Bauchgefühl-Tiraden mit angeblicher empirischer Bestätigung à la Sarazzin sind salonfähig. Nur hat sich das bisher nicht in Wahlerfolgen entsprechender Parteien niedergeschlagen. Zurück zu Frankreich: Die Grande Nation fühlt sich bedroht, spürt einen zunehmenden Einflussverlust in der Welt und muss mit steigender Arbeitslosigkeit sowie Armut kämpfen. Die "kleinen Leute" wählen schon lange nicht mehr links, sondern Front National.

Die Ablösung Jean Maries war längst überfällig. Seinen größten Erfolg hatte er 2002, als er Jaques Chirac in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen herausforderte, ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang. Dennoch war er für viele nicht wählbar. Der Mann, der den deutschen Genozid an Juden für ein zu vernachlässigendes Detail der Geschichte hält, war eben doch eine Spur zu extrem. Marine tritt da wesentlich gemäßigter auf (oder tut zumindest so). Sie wettert gegen den Euro und die EU, gegen die Globalisierung und die Banken, gegen die kriminellen Ausländer und den Islam (à la: natürlich habe ich nichts gegen den Islam, nur leider sind Muslime eben übermäßig häufig kriminell), also die Art von Stammtischpopulismus, der zunehmend populärer wird. Die Gefahr ihrer Strategie der Entdämonisierung der FN liegt natürlich darin, die wirklich radikalen Rechtsextremen zu verlieren. Aber auch für diese Kader hat sie jüngst ihren rhetorischen Giftkoffer geöffnet: Straßengebete von Muslimen verglich sie mit der einer Besatzung "von Teilen staatlichen Territoriums" ("Es gibt keine Panzer, keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es dennoch"). Auch diese Aussage zeugt wieder von ihrem intelligenten Diskurs. Niemals sprach sie den Vergleich mit der Nazi-Besatzung aus, aber verstanden wurde sie trotzdem.


(Quelle: Spiegel Online)

Es ist schwierig zu sagen, wohin Marine Le Pen die FN und die Franzosen hinführt bzw. verführt. Sicher ist, dass ihr Einfluss größer wird. Meine Prognose: Marine Le Pen kommt bei den Präsidentschaftswahlen 2012 in die zweite Runde, indem sie Nicolas Sarkozy aussticht. Dort wird sie dem sozialistischen Kandidaten, vermutlich Strauss-Kahn, zwar haushoch unterlegen, jedoch sind potentielle 25% der Wählerstimmen eben auch 1/4 der Franzosen. Düstere Vorstellung.


Literatur

DeAngelis R., 2003: « A Rising Tide for Jean-Marie, Jörg, and Pauline? Xenophobic Populism in Comparative Perspective », Australian Journal of Politics and History, vol. 49, p. 75-92.

Lecoeur E., 2003: « Un néo-populisme à la francaise. Trente ans de Front National », Paris, La Découverte
 
Swyngedouw M./Gilles I., 2004: « The Extreme Right Utopia in Belgium and France: The Ideology of the Felmish Vlaams Blok and the French Front National », West European Politics, 2004, vol. 24, p. 1-22.
 
Der Spiegel: "Rechtsextreme wählen Le Pen zur Chefin"
 
Die Zeit: "Des Alten blonde Tochter"

10 janvier 2011

L’essence de l’amitié

« Some friendships are truly of the best kind. Yes, I'm talking about you guys ;) », Diarra K., 2011

Depuis quelques jours, je suis en train de réfléchir sur l'essence de l'amitié. En 2010, j'ai appris beaucoup sur l'amitié. Comment commence-je? ... Ca ne fait pas vraiment longtemps quand j'ai remarqué que j'ai des problèmes de parler sur moi-même, sur mes pensées, mes émotions; des problèmes de m'ouvrir aux autres gens, particulièrement aux personnes nouvelles. Je ne connais pas la raison pour cette attitude personnelle, mais elle est existante. Je suis en train de m'améliorer dans ce genre de personnalité (et j'espère que certaines personnes le peuvent confirmer), mais c'est dur. En tous cas, c’était toujours difficile pour moi de me lier d’amitié avec qn.

Le temps en France joue un rôle central. D'abord, le contact avec mes amis allemands a baissé. Mais en même temps, quelques amitiés sont devenues plus intenses. C'est bizarre et je ne l'avais pas attendu, mais c'est une conséquence très positive. Ensuite, je n'avais pas du contact avec certaines personnes, mais quand on s'est revus, c'était comme d'habitude. Wow. J’étais vraiment impressionné. Enfin, il y a bien entendu des personnes qui ne vont plus bien avec moi/moi je ne vais plus bien avec eux. Mais c'est aussi normal.

Les termes "amitié" et "ami" (Freundschaft/Freund) étaient toujours des mots que j'ai utilisé rarement. Une théorie dit qu’on a besoin des 5 amis, l'un pour parler, un autre pour sortir, un troisième pour... ? Mais sont-ils vraiment des amis? Ne sont-ils pas plutôt des copains? ...des homies? À mon avis, dans une amitié, il faut avoir la liberté de dire ce qu'on pense; il faut savoir la loyauté et le soutien de l’autre pendant des moments difficiles; et il faut avoir le privilège de fêter avec eux pendants des bons temps. Pour cette raison, il n'y a pas beaucoup de personnes qui sont des "amis" pour moi . Pourtant en fin de compte, les termes "ami" et "amitiés" ne sont que des constructions qu'on n'a pas besoin. Il faut se sentir bien avec eux, donc ce sont les sentiments qui décident et ce n'est pas du tout la rationalité.

Pendant le week-end, j'ai parlé beaucoup sur l'amitié. Une interlocutrice me disait qu'elle a fait ses amitiés les plus stables pendant la phase de la puberté. Pourquoi? Les personnes ont vécu avec toi la première perception de ton environnement, on a commencé à réfléchir et à refléter, on devient adulte... Moi, je ne suis pas complètement d'accord, parce que le développement de la personalité n’est jamais terminé (peut-être, je fais toujours ma puberté...? ;)

Ce que je veux dire, ce n’est pas forcement le temps qui décide. En France, j’ai fait la connaissance de bien de monde. Le temps tout récemment en Italie a montré qu’il y a un cercle des personnes moins grand (mais assez!) qui s’est construit… mais comment ? Par l’hasard ? Il n’a pas suit un plan préfabriqué, mais non plus spontané. Je connais ces personnes depuis un an et demi (maximum !) et nous n’étions pas forcement tous très proche à Lille. D’un côté, il y a bien sûr des tensions entre nous, des conflits, des petits problèmes, des groupes, mais d’autre côté, nous sommes unis par ce lien particulière (= l’amitié ?). Je pourrait écrire beaucoup sur ce sujet. On penserait que le lien décline au fil de temps, mais c’est l’inverse : il gagne en intensité. Je ne le comprends pas très bien. Mais peut-être, il ne faut pas réfléchir, il faut en bénéficier…

Bon: « Si enfin je pouvais connaître tout ce que le monde cache en lui-même » Je n’ai toujours pas compris l’essence de l’amitié, même si cette question me préoccupe pour le moment. Je n’ai pas un concept dans ma tête, mais j’ai un sentiment dans mon cœur. Ce qui compte !?

6 janvier 2011

Rückblick: Von der Scheinheiligkeit à la française oder dem "modèle républicain"

Soeben habe ich den alten Blog offiziell abgeschaltet. Er war angelegt für das Jahr in Frankreich, als eine Art Reisetagebuch. Löschen werde ich ihn nicht, denn es stecken sehr viele niedergeschriebene Erinnerungen darin. Einen meiner liebsten Posts möchte ich jedoch noch einmal hier publizieren, unverändert.

Erstmals veröffentlicht am 15. März 2010: [Von der Scheinheiligkeit à la française oder dem "modèle républicain"]

Eine Reflexion.

Viele von euch wissen sicherlich, dass Franzosen von einer gewissen Arroganz geprägt sind. Jedenfalls würden aus-dem-Bauch-heraus einige unter euch sicherlich zustimmen. Das fängt bei der Tatsache an, dass die Franzosen ihre Kultur, vor allem aber ihre Sprache gegen jegliche Einflüsse von außen schützen. Sicherlich - bei der deutschen Neigung, Anglizismen einfach zu adaptieren, muss man sich mitunter schon wundern. Von "Public Viewing" über "Coffee to go" bis hin zu "Kiss&Ride" scheinen "wir Deutsche" alles latent zu internalisieren. Die Franzosen hingegen erfinden für jedes noch so alltägliche Wort eine französische Entsprechung. Okay, ein Notebook ist ein "ordinateur portable" [tragbarer Computer...äh...naja, eine tragbare Datenverarbeitungsanlage], aber warum für die E-Mail mit der lediglich phonetisch ähnlichen Entsprechung "mél" nun auch noch ein Wort gefunden werden muss, bleibt offen.

Doch eigentlich denke ich über etwas ganz anderes nach. Seit der Französischen Revolution leben die Menschen in Frankreich unter der Trias "Liberté, Égalité, Fraternité" [Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit]. Dabei scheint mir die Égalité das zentrale Element. Mitunter habe ich das Gefühl, dass man Égalité jedoch durch Unité oder besser noch Uniformité ersetzen könnte. Denn die valeurs du modèle republicain [Werte des republikanischen Models] stehen zwar offiziell für die Gleichheit jeder/s Lebensweise, Religion, Hautfarbe, (sexuellen) Identität, Geschlechts, sozialen Status etc. In Wirklichkeit schützen sie natürlich die Kultur der Mehrheit. Der Franzose ist weißer Hautfarbe, Katholik und heterosexuell.

So kommen mir die Debatten in Frankreich über die nationale Identität (initiiert von Sarko-K.O. ;), Integration und Religion vor allem ziemlich scheinheilig vor. Wie ich bereits anklingen ließ, besteht die Idee der französischen Republik seit 1789 darin, aus allen in Frankreich lebenden Menschen Bürger der einen, unteilbaren, demokratischen Republik zu machen. Wichtig ist vor allem das Konzept der Laizität, also der Trennung von Religion und Staat. Dieses Konzept, was ursprünglich gegen die katholische Kirche ausgerichtet war, richtet sich heute in erster Linie gegen den Islam. Seit 2004 ist das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Bereichen, insbesondere Schulen, verboten. Das Tragen einer Kette mit Kruzifix-Anhänger dagegen nicht. Im Moment läuft alles darauf hinaus, dass das Tragen der Burqa gänzlich verboten wird. Über die Burqa kann man natürlich sehr geteilter Meinung sein (religiöses Symbol - Symbol der Unterdrückung der Frau?). Fakt ist jedoch, dass die verwendeten Argumente gegen die Burqa scheinheiliger nicht sein könnten.

Das Modell der Republik, die die gleichen Werte teilt, richtet sich ein wenig allgemeiner gesprochen gegen jede Form von Multikulturismus. In den französischen Denk-Schemata gibt es schlicht keine Unterschiede, keine Menschen mit verschiedenen Hintergründen, keine Subkulturen... Alle sind französisch. Soweit die Theorie.

Die Realität sieht ein wenig anders aus. Frankreich fühlt sich bedroht. Einige sprechen von der "crise de sens" [Sinnkrise], vom Kulturverfall, von den negativen Ergebnissen der Globalisierung oder von der Risikogesellschaft, die auf die neuen komplexen Probleme keine Antwort findet. Schon lange bevor Westerwave den rhetorischen Giftkoffer öffnete (freilich in anderem Zusammenhang) spricht Frankreich von "Dekadenz", aber natürlich auch vom "Problem der Immigration" sowie von "anti-französischem Rassismus". Maßgeblich mitverantwortlich ist die rechtsextreme Front National unter Jean-Marie Le Pen (die seit den 1980er Jahren dritte politische Kraft Frankreichs ist und bei den gestrigen Regionalwahlen in der Lilloiser Region 20% holte). Le Pen ist ein wahnsinnig intelligenter Rhetoriker. Zwar nimmt ihn die Mehrheit der Franzosen als merkwürdig und gefährlich wahr, dennoch hat er es geschafft, ihr Denken nachhaltig zu verändern.

Egalität und die Werte der Republik bestimmten also das französische Selbstverständis. Ziel ist dabei die Inklusion. Meiner Meinung nach wird jedoch weniger Inklusion als Exklusion vollzogen. Eine Grenze zwischen "nous" und "eux" [wir/ihr] wird konstruiert. "Wir" wird dabei nie definiert, vielmehr ein Gefühl der kollektiven Bedrohung in Abgrenzung zu den anderen geschaffen.

Ich möchte nicht falsch verstanden und gerne hart kritisiert werden. Das beschriebene Phänomen ist ebenso verallgemeinert wie subjektiv. Auch möchte ich überhaupt nicht sagen dass "wir Deutsche" besser wären. Im Gegenteil. Durch unsere historisch bedingten Komplexe haben wir allerdings nicht dieses "deutsche Model". Aus diesem Grund kommen mir die Debatten und Probleme der Franzosen nur einfach nur so wahnsinnig français vor.