31 mars 2012

Kairo, die Letzte: Gewerkschaften als lebendige Demokratie

Mein Kairo-Aufenthalt liegt nun bereits über einen Monat zurück. Daher möchte ich die "lose Serie über Kairo" zu Ende bringen. Fraglich ist, ob man bei fünf Posts von einer Serie sprechen kann - zumal die Themen wirklich sehr spezielle Aspekte problematisiert haben. Das ist schlecht, denn es gäbe noch so viel weiteres zu erzählen. Wer Lust auf mehr hat, kann aber mal auf diesem Blog vorbei schauen. Heute ein weiteres, sehr spezielles Thema: die Gewerkschafsbewegung in Ägypten. 

Wenn in Deutschland die U-Bahnen im Depot bleiben, Kindergärten geschlossen sind und der Müll nicht abgeholt wird, gehört das zum ganz normalen gesetzlich geregelten Ablauf von Tarifverhandlungen. Am Ende konnte die Gewerkschaft Ver.di, die den öffentlichen Dienst vertritt, ein sattes Lohnplus für ihre Mitglieder und auch die nichtorganisierten Angestellten verbuchen. Streiks nerven immer die Betroffen, aber dafür sind sie da. Und man hat das Gefühl, dass solche Arbeitskämpfe trotz allem auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.

Sonnige Zukunft für die Gewerkschaftsbewegung?*
Wenn in Ägypten die Arbeit niedergelegt wird, ist das in erster Linie vor allem eins: illegal. Hinzu kommt, dass Streiks nicht gerade hoch angesehen sind in der ägyptischen Gesellschaft. Seit der ersten Gewerkschaftsgründung im 19. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung immer wieder staatlicher Repressionen ausgesetzt. Aktuell gilt nach wie vor das Gewerkschaftsgesetz von 1976, welches unabhängige Gewerkschaften verbietet. Arbeiter waren gewissermaßen zwangsorganisiert in einem hierarchischen und zentralisierten Gewerkschaftsverband, der dem ägyptischen Arbeitsministerium unterstellt war. 

Allgemein kann man von einem erodiertem Arbeitsrecht in Ägypten sprechen. Arbeiter müssen bei der Vertragsunterzeichung gleichzeitig ihre Kündigung unterschreiben. Diese wird dann zu gegebener Zeit herausgeholt und jegliche Proteste bzw. juristischen Vorgänge gegen einen Rauswurf werden damit im Keim erstickt - schließlich hat man ja selbst die Kündigung eingereicht. Darüber hinaus ist der ägyptische Arbeitsmarkt von sehr geringen Löhnen, einer hohen Arbeitslosigkeit und einem großen informellen Sektor (informell heißt dabei nicht illegal) geprägt.

Schon fünf Jahre vor dem sogenannten ägyptischen Frühling kam es jedoch immer wieder zu Arbeiterprotesten, die eine neue Intensität erreichten. 2009 konnte sich dann aufgrund zahlreicher internationaler Solidaritätsbekundungen die erste unabhängige Gewerkschaft etablieren. In Folge des Umbruchs seit Anfang 2011 gründeten sich über 200 weitere unabhängige Gewerkschaften sowie zwei unabhängige Dachverbände.


Generalstreik am Tahrir: Hohe Beteiligung sieht anders aus!
Inwieweit diese neue Gewerkschaftsbewegung eine positive Zukunft hat, bleibt abzuwarten. Die Entwicklungen seit Anfang 2011 stehen im Konflikt mit der nach wie vor bestehenden Gesetzgebung. Ein gemäß den Standards der International Labour Organisation (ILO) ausgearbeitetes, neues Gewerkschaftsgesetz wird bis heute vom Obersten Militärrat blockiert. Als am 11. Februar 2012 zum landesweiten Generalstreik aufgerufen wurde, war die Beteiligung nur sehr gering. Ein Generalstreik ist ein durchaus mächtiges Mittel, wie Griechen, Belgier oder Spanier immer wieder beweisen. In Deutschland ist ein solcher übrigens verboten. 

In einer zunehmend globalisierten Welt scheint sich das alte Machgefälle zwischen Arbeit und Kapital unaufhaltbar in Richtung Kapital zu verschieben. Gerade vor diesem Hintergrund ist eine starke, unabhängige Vertretung der Arbeiterinteressen von entscheidender Bedeutung. Nicht nur für ökonomische Überlegungen wie die Senkung von Armut, Herstellung sozialer Gerechtigkeit oder Begrenzung der Lohnunterschiede sind starke Gewerkschaften unabdingbar. Auch als demokratischer Akteur sind sie für die Gesellschaft enorm wichtig und stehen letzendlich als Zeichen für eine lebendige Demokratie. Teilen wir gemeinsam die Hoffnung, dass der Erfolg der ägyptischen Gewerkschaftsbeweung gelingt!

*Fotos von RT und DO.

15 mars 2012

Kairo, die Vierte: Graffiti in der politisierten Stadt

Zwar hat das ägyptische Volk erstmals in freier Wahl ein Parlament bestimmt, jedoch ist auch ein Jahr nach dem Beginn des politischen Umbruchs noch nicht alles perfekt. Die verfassungsgebende Versammlung soll ohne Frauen und Christen besetzt werden, die Wahl des Präsidenten wurde auf Juni verschoben und der Militärrat klammert sich mit aller Kraft an die Macht. Als Erfolgsgeschichte ist hingegen die zunehmende Politisierung der Menschen zu bezeichnen. Die zahlreichen Graffiti, die man überall in Kairo findet, sind vielleicht kein Beweis dafür, aber doch zumindest ein deutliches Indiz...*

 
 
 
 
  
To be continued.

*Fotos von RT, CM und DO.

4 mars 2012

Kairo, die Dritte: Mobilität und Infrastruktur

Ordnung, in das Chaos der Eindrücke zu bringen - das sollte das Ziel der losen Serie über Kairo sein. Wenn es heute um Mobilität und Infrastruktur in Kairo geht, steht im Grunde eher Chaos als Ordnung im Vordergrund.*

Autos sind das erste, was man in Kairo wahrnimmt. Warum? Nicht nur weil sie so zahlreich sind, sondern weil man sie mit (fast) allen Sinnen erlebt.  Solange der Motor noch anspringt, fährt in Kairo so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Den deutschen TÜV hätte dabei ein Großteil der Autos vermutlich schon vor zehn Jahren nicht überstanden. Ergebnis ist nur auf den ersten Blick die schiere Überlastung sämtlicher Straßen, denn: Wer will, kommt an.

Tahrir Square: Autos statt Protest
 Als Fußgänger kommt man hingegen nur mit hoher Aufmerksamkeit, einem ordentlichen Schuss Dreistigkeit und dem puren Überlebenswillen von A nach B oder aber auch einfach nur über die Straße. Frei nach dem Motto: „Hörst du mich Gefahr, ich lach dir ins Gesicht.“ Insofern ist die größte Bedrohung in Kairo nicht etwa Kriminalität, Militär oder Nachwehen der Revolution (das sowieso nicht), sondern vielmehr die, vom Auto überfahren zu werden.

Überhören kann man den Verkehr auch nicht. Hupen wird in Kairo sehr vielfältig eingesetzt. Vom gegenseitigen Grüßen über „Hey, hier fahre ich“ bis zum Ausleben der eigenen Aggression lässt sich vermutlich alles hineininterpretieren in das stets gleichklingende Hupgeräusch. Lustig wird es, wenn die zehn sich gegenseitigen blockierenden Autofahrer alle gleichzeitig anfangen zu hupen. Irgendwann gewöhnt man sich dran.
Alltägliches in Kairo

Zwar lässt sich zwischen den Fahrzeugen auch das ein oder andere Oldtimer-Schmuckstück entdecken. Überwiegend macht sich das Alter der Autos jedoch anderweitig bemerkbar: Es stinkt! Der Smog über Kairo kommt sicherlich nicht allein vom Verkehr, doch trägt dieser einen großen Teil dazu bei. Im Taxi sitzend hat man mitunter das Gefühl, der Auspuff ende direkt  unter dem Rücksitz. 

Taxis. Neben dem eher schlecht ausgebauten U-Bahnnetz und dem von mir unverstandenen Bussystem sind Taxis die einzige Möglichkeit, weitere Strecken zurückzulegen. An jeder Straßenecke  braucht man maximal eine Minute warten, bis ein Taxi vorbeikommt. Ständig wird versucht, einen über den Tisch zu ziehen. Aber wer würde das nicht machen? Überraschender ist, dass der Taxifahrer an sich (ich vereinfache geringfügig!)  keine Straßenkarten lesen kann. Auch die Wegbeschreibung auf Arabisch hilft nur bedingt weiter. Wenn der Taxifahrer den Ort (scheinbar) zielstrebig anfährt, lohnt es sich, noch zwei bis drei Mal nachzufragen, ob er verstanden hat, wohin man möchte. Ein Argument spricht jedoch auf jeden Fall für das Taxifahren: der kleine Preis.


Die Beschreibung des Kairoer Verkehrs klingt negativer als gewollt. All die beschriebenen Eindrücke sind jedoch in jeglicher Hinsicht wertvoll. Sei es die Betrachtung des Straßenverkehrs, der in Kairo funktioniert ohne überbordende Regeln. Oder Reflexionen zum Klimaschutz, der hier an ganz anderer Stelle ansetzen müsste, als die deutsche Perspektive vermuten würde.

To be continued.

* Erstveröffentlichung auf renardteipelke.blogspot.com