24 juillet 2011

Five Germanys I have known

Der amerikanische Historiker Fritz Stern ist in Deutschland v.a. durch seine Freundschaft zu Helmut Schmidt bekannt. Auf die "deutsche Frage" spezialisiert, hat er auch ganz persönliche Erinnerungen und Gedanken zu seinem Geburtsland. Diese schreibt er in seiner Autobiografie "Fünf Deutschland und ein Leben" nieder. Spannend, lehrreich, witzig -  das Buch ist sehr zu empfehlen.


Fünf verschiedene Deutschland hat Fritz Stern im Laufe seine Lebens erlebt: die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die BRD, die DDR und das wiedervereinigte Deutschland. Wenn man es genau nimmt, beschreibt er sogar ein sechstes - das Kaiserreich aus Briefen und Tagebucheinträgen seiner Eltern. Viel besser als es jedes geschichtswissenschaftliche Buch vermag, beschreibt Stern die Verhältnisse in den 1920er und 30er Jahren, so wie er sie erlebt hat. Die scheinbar geglückte Integration der deutschen Juden im Kaiserreich und der Weimarer Republik wird mit dem Aufstieg Hitlers und der NSDAP jäh gestoppt. Stern und seine Familie emigrieren in die USA, tief enttäuscht von ihrem Heimatland und v.a. ihren Mitbürgern. Höchst spannend ist die sich allmählich verändernde Bewertung der politischen Verhältnisse seitens seines Vaters, die ihnen am Ende keine Möglichkeit lassen, in Deutschland zu bleiben. Stern beschreibt den damaligen Werdegang kurz als "Angstweg". 

Angekommen in New York, verachtet Stern Deutschland. Diesen Hass überwindet er erst im Laufe der Zeit durch die historische Aufarbeitung der deutschen Geschichte, durch die Begegnung mit (deutschen) Zeitgenossen und durch spätere Reisen in die damalige BRD und DDR. Klaren Aussagen folgt immer eine fundierte Begründung. Die langen Analysen machen das Buch an vielen Stellen jedoch auch zäh. Da er in den USA lebt und lehrt, bewertet er die (Zeit-)Geschichte von außen, was insbesondere bei Urteilen über die DDR und ihre Bevölkerung zunächst skeptisch stimmt. Diese Perspektive macht das Buch jedoch sehr spannend, da es ihm gelingt, große Linien in der Entwicklung Deutschlands zu identifizieren, die er aber stetig mit kleinen Details und Anekdoten verbindet.   

Wer sich mit der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert beschäftigen möchte, die entlang des Lebens eines wahrlich großen Denkers erzählt wird, sollte "Fünf Deutschland und ein Leben" lesen. Neben kritisch-witzigen Kommentaren werden gleich noch ein paar Wissenslücken gefüllt oder wieder aufgefrischt. Sehr lesenswert ist ebenso das Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Fritz Stern über das 20. Jahrhundert. Es liest sich sehr gut, ist witzig und originell. Hier ein kurzer Auszug:
Helmut Schmidt: Da wir nun einmal bei dem Thema sind, Fritz: Ich hatte mir drei Fragen aufgeschrieben. Antisemitismus hat es in vielen europäischen Staaten gegeben. Meine Frage ist: Was waren die entscheidenden Ursachen dafür, dass der Antisemitismus sich in Deutschland bis zum millionenfachen Genozid übersteigern konnte. Oder anders gefragt: Wie groß darf unser Vertrauen darauf sein, dass wir Deutschen künftig psychotischen Gefährdungen erfolgreich widerstehen werden? Oder noch anders gefragt: Ist die deutsche Nation in höherem Maße verführbar als andere europäische Nationen – und warum ist das so? Das sind drei Fragen, die aber eigentlich auf ein und dieselbe Frage hinauslaufen. Und – mir fällt keine Patentantwort ein.
Fritz Stern: Die gibt’s auch nicht, eine Patentantwort. Aber ich möchte – 
Schmidt: Unter uns gesagt: Mein Vertrauen in die Kontinuität der deutschen Entwicklung ist nicht sonderlich groß. Die Deutschen bleiben eine verführbare Nation – in höherem Maße verführbar als andere. 
Stern: Alle Nationen sind verführbar, auch die amerikanische, bei der es allerdings noch nicht ausprobiert wurde. – Ich will versuchen, Ihre Frage Punkt für Punkt zu beantworten, mit Teilantworten auf Ihre verschiedenen Fragen, und dazu eben ein paar Notizen machen, damit ich mich richtig daran erinnere, also, wenn es Antisemitismus gab...
Schmidt: Nicht verstanden. 
Stern: Antisemitismus – 
Schmidt: Sie brauchen nicht laut reden, nur langsam. Ich versteh immer nur die Hälfte, die andere Hälfte muss ich kombinieren. Das habe ich gelernt. Aber wenn Sie zu schnell reden, kommt mein Computer nicht mit. Es ist eine Begleiterscheinung des Alters.
[...]
Literatur:

Stern, Fritz (2007): Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen. München: Beck. [engl. Five Germanys I have known]

Stern, Fritz; Schmidt, Helmut (2010): Unser Jahrhundert: ein Gespräch. München. Beck.

19 juillet 2011

Potter, liberal

Parteien auf der Leinwand: Was wir im Kino über SPD und FDP lernen

Am Freitagabend saßen wir, als hätten wir nichts schöneres zu tun, in einem Berliner Kino und schauten uns "18 Monate unter Genossen an", eine Dokumentation aus dem Innenleben der SPD. Der Film ist eine ganz wunderbare Momentaufnahme über den Zustand der ältesten deutschen Partei. Er hat genauso wenig zu erzählen wie diese momentan selbst. Unter Politikern hinterherlatschenden Cineastendarstellern sagt man auch: Es fehlt das Narrativ, dem Film wie den Sozen.

Umso größer ist unsere Freude darüber, dass diese Woche endlich die Harry Potter-Adaption Philipp Rösler und die Heiligtümer des Todes, Teil 2, anläuft. Im ersten Teil hatte Ihr-wisst-schon-wer seine Macht verloren, seien verfluchten Vorsitz niedergelegt und - anstatt umgehend durch das Verschwindekabinett zu disapparieren - seine Seele in insgesamt sieben Horkruxe ausgelagert, um sein politisches Ableben hinauszuzögern, darunter das Auswärtige Amt, die Schlange Kubicki und Philipp Rösler selbst. Beim Versuch, die übrigen Horkruxe zu zerstören, fällt Philipp Rösler in Teil 2 in ein Fass Vielsaft-Trank und hört sich nun an wie Ihr-wisst-schon-wer in der Kammer des Schreckes, der schwarz-gelben Koalition: "Ich will ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem." Traurig, traurig. Da macht sich der Halbblutprinz auf die Suche nach dem Stein der Weisen - und hat noch nicht mal ein eigenes Narrativ dabei! Die Liberalen, so lernen wir daraus, sind halt kein Orden des Phönix. Die FDP ist ihr ihr eigener Todesser.

(gefunden in DIE ZEIT, leider nicht online abrufbar)