20 février 2014

"Ich glaube, ich habe die Frage nicht verstanden" oder: Wie ich einmal eine Master-Arbeit schrieb

Die Einführung des neuen Studiensystems hat viele Vor- und Nachteile. Zum Beispiel kann ich beim Schreiben meiner Master-Arbeit auf umfassende Erfahrung zurückgreifen, schließlich habe ich damals bereits eine Abschlussarbeit verfasst. Ob das jetzt ein Vor- oder Nachteil ist, bleibt jedem selbst überlassen.

Die Bachelor-Arbeit war natürlich nur eine Aufwärm-Übung. Zwar saß ich auch damals lange Zeit an diesen meinen geistigen Ergüssen, über die fragt man sich allerdings aus heutiger Perspektive mitunter: "Warum eigentlich?". Naja, zumindest war sie nicht so grausig wie meine allererste Hausarbeit, in der ich frisch an der Uni mit rechtskonservativen Argumenten gegen den EU-Beitritt der Türkei plädierte. Vermutlich werde ich mir dieselbe Frage in zwei Jahren mit Blick auf meine Master-Arbeit stellen. Vorerst versuche ich jedoch noch Ordnung in meine super wichtigen, unglaublich wirren Gedanken zu bringen.

Im Gegensatz zur Aufwärm-Übung beinhaltet meine zweite Thesis einen empirischen Teil. Methodisch wird der dann untersucht mittels problemzentrierter, teil-standardisierter, leitfadengestützter (Experten-) Interviews mit narrativen Elementen. Aha. Gesundheit. Wenn man die dann geführt hat, transkribiert und auswertet, fragt man sich jedoch manchmal, ob deutsch wirklich die eigene Muttersprache ist. Hört sich oftmals nämlich nicht so an.


Beispiel 1: Aus Subjekt, Prädikat, Objekt besteht ein Satz, hab ich in der Schule gelernt. Wirklich?

- Ich: "Und wenn jetzt meinetwegen, sagen wir mal, ein Standort rationalisiert wird und aber die Mitarbeiter nicht entlassen in dem Sinne, also schon entlassen werden, aber die gleiche Anzahl an Mitarbeitern wieder an einem anderen Standort aufgenommen werden neu. Ist ja zumindest mal - vielleicht ist es ein utopischen Szenario - aber..."
- Interviewpartner: "Ich glaube, ich habe die Frage nicht verstanden."



Beispiel 2: Manchmal verstehen die Interviewten jedoch auch den größten Kauderwelsch:

- Ich: "Ist das quasi eher so, gut, hier vielleicht nicht, also so, wo quasi die Produktion gespiegelt ist, dass man ähnliche Teile herstellt oder vielleicht auch ähnliche..."
- Interviewpartner: "Das ist ein heikles Thema."           



Beispiel 3: Schwierig wird es natürlich, wenn man sich in fremden Sprachen unterhält, z.B. denglisch:

- Ich: Yes so I am also interested in company restructuring or relocation as you know. And I'm sure that relocation always causes opposition or Widerstand on the ground of course. Äh... you know what I mean... But from a European point of view does it really matter where the jobs are located? So wether they are in Poland or in Germany or in Spain and so on?   



Beispiel 4: Nur was soll man machen, wenn die Interviewpartner verwirrter sind als man selbst?   

- Ich: Wie wichtig sind Mitglieder für eine Gewerkschaft?   
- Interviewpartner: Wie wichtig ist bei Ihnen die Uni, wie wichtig ist Ihr Professor?           
- Ich: Also ich frag das deshalb, weil die deutschen Gewerkschaften immer als recht stark gelten aufgrund der Sozialpartnerschaft, aufgrund dieser institutionell zugesicherten Stellung, Tarifverhandlungen etc. Während das in anderen Ländern ja nicht so ist, und da eher wirklich die Masse der Mitglieder entscheidend ist, die dann eben...          
- Interviewpartner: [redet ohne Punkt und Komma] Hab ich Ihre Frage jetzt beantwortet oder hab ich zuweit ausgeholt?           
- Ich: Ja, also Sie haben sie insofern beantwortet, also Sie haben sie nicht so richtig beantwortet, weil Sie sozusagen nicht gesagt gesagt haben, ob...
- Interviewpartner: Achso, die erste Frage war Mitglieder genau.            
- Ich: Die war sozusagen vorangestellt, aber ja.  



Beispiel 5: Ja/Nein-Fragen sind immer heikel. Aber ein bisschen Mitarbeit ist doch zu erwarten, oder? Nein. 

- Ich: Und wenn du jetzt zum Beispiel erst nach zwei Jahren eingetreten bist, heißt das so die Mehrzahl der normalen Angestellten sind auch nicht gewerkschaftlich organisiert hier?            
- Interviewpartner: Ja.
- Ich: Und ist das ein Problem?
- Interviewpartner: Ja.



Beispiel 6: Richtig böse wird es, wenn der Interviewpartner irgendwie mit dem falschen Fuß aufgestanden ist und anfängt zu pöbeln:

- Interviewpartner: (...)  So als schwammige Allgemeinantwort auf eine schwammige Allgemeinfrage
- Ich: Ist doch super.
***
- Interviewpartner: Also das ist halt, die Frage unterstellt so ein bisschen, dass es vorher nicht gut funktioniert hat.
***
- Interviewpartner: Ich möchte vielleicht trotzdem nochmal eine kurze Sache dazu sagen wollen. Die letzte Frage - ist ja vielleicht schonmal durchgedrungen, also wir verhandeln ja schon mit Unternehmen. Mich hat die Frage ein bisschen stutzig gemacht, weil es so klingt, als sei da noch überhaupt gar nichts da. So darauf wollte ich nochmal kurz drauf verweisen.
- Ich: Okay, ja also ich stelle ja mit den Fragen auch nur Fragen und will gar keine Behauptungen aufstellen, vielleicht manchmal ein bisschen provozieren, aber das war auch schon alles.
- Interviewpartner: Ja, naja manchmal ist ja eine Frage so gestellt, dass man denkt, uups, implizit heißt das ja das und das.


Was soll man da noch sagen? Man bedankt sich für das erfrischende Gespräch und denkt an die alten Zeiten zurück, in denen man noch Arbeiten schreiben konnte, ohne den eigenen Elfenbeinturm zu verlassen. Aber das war ja auch irgendwie langweilig. To be continued?

11 février 2014

U-Bahn-Gespräche #4

Meine Expertise ist gefragt: ich soll einen Rucksack des Outdoor-Herstellers Reuters empfehlen. Mit der Provision melde ich mich dann im Golfclub an und schlichte Streit. In der übrigen Zeit bekämpfe ich die Vermüllung Frankfurts. Dies und vieles mehr erlebt man nur an einem Ort: in der U-Bahn. 

Seit der RMV, je nach Wochentag, mal S-Bahnen und mal U-Bahnen nur eingeschränkt fahren lässt, sind die jeweils übrigen natürlich besonders voll. Wenn man gemütlich nach Hause fahren will, nervt das natürlich. Für die Feldforschung sind das allerdings ideale Verhältnisse.

Gespräch in der U-Bahn#4 (überwiegend passiv)

- A: Die suchen aber nur ab Juni oder Juli.
- B: Da ist doch noch der Abiball.
- A: Ist doch scheißegal.
- B: Ich hab aber schon ein Kleid.
- A: Hat ja keiner gesagt, dass du auch Au-pair machen musst. Ist doch sowieso scheiße, ich hab dich nicht gebeten mitzukommen.
- B: Bist du jetzt die Besitzerin von Neuseeland oder was?
- A: Na nee.
- B: Ich will eh erst im August. Vorher noch bisschen chillen.
- A: Die suchen aber nur ab Juni oder Juli. August ist zu spät.
- B: Aber dann kann ich nicht zum Abiball.
- A: Scheiß auf den Abiball. Wir reden hier von Neuseeland. Hast du nicht der Hobbit gesehen?
- B: Was hat das damit zu tun?
- A: Der spielt in Neuseeland.

(B denkt nach, ihr Gesicht nimmt dabei Züge an, als würde Gollum ihr Abiballkleid tragen.) 

- B: Wenn wir uns bei den gleichen Familien bewerben, dann sind wir ja Konkurrenz.
- A: Du hast eh keine Chance.
- B: Was soll das denn jetzt heißen? Nur weil ich nicht wusste, dass Herr der Ringe in Neuseeland spielt?
- A: Quatsch. Ich hab mich schon bei acht Familien beworben, die Bewerbungsfrist ist fast vorbei. Ist ja auch schon Februar.
- B: Ich will aber erst im August.
- A: HALLO? DAS IST ZU SPÄT. Die suchen nur für Juni und Juli, wie oft soll ich das noch sagen?

(B scheint kurz eingeschüchtert. Ihr Blick trifft meinen, sie merkt, dass ich krampfhaft versuche, nicht zu lachen.)

- B: Finden Sie das lustig? Ich will nunmal zum Abiball.
- Ich: Kann ich verstehen.

Ich merke, ich werde alt. Sie? Ernsthaft?

- B: Und geht auch noch später?
- A: Ja, ich glaube dann wieder ein halbes Jahr später.
- B: Vielleicht kann ich ja dann dein Kind nehmen. Ich deine Nachfolgerin oder so.

(A ist kurz perplex. Sie scheint kein besonderes Interesse daran zu haben, B ihrer zukünftigen Gastfamilie zu empfehlen)

- A: Ich bleibe doch 10 Monate.
- B: Ich dachte, du wolltest noch Work&Travel machen?
- A: Das... entscheide ich dann spontan.

Ich gebe den Kampf gegen mein akutes Bedürfnis zu grinsen auf und steige aus.