30 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #3

Der Luxus einer Haltestelle, die sich direkt vor der Haustür befindet, ist leider vorbei. Die nächste S- und U-Bahnhaltestelle ist ganze 8-Gehminuten und 2-Fahrradminuten entfernt. Da verschätzt man sich mitunter in der Zeit.. 

Manchmal habe ich es morgens so eilig, dass nicht mal mehr Zeit für ein kurzes Frühstück bleibt. Wenn es hart auf hart kommt, verlasse ich dann das Haus, ohne etwas im Magen zu haben. Zum Glück befindet sich auf dem Weg zur Haltestelle "Helga's Schlemmerlädchen". Helga wurde wohl noch nie darüber aufgeklärt, dass die deutsche Sprache sich von der englischen durchaus unterscheidet. Und so werden meine müden Augen schon frühmorgens hart auf die Probe gestellt, ähnlich wie in "Susi's Blumenladen" oder "Olaf's Schloss- und Schlüsselmacherei". Da hat der Helga ihr Deutschlehrer aber einen schlechten Job geleistet. Da ich ihn persönlich allerdings nicht kenne, betrete ich doch ab und zu Helgas Schlemmerlädchen. 

Gespräch vor dem Betreten der U-Bahn (aktiv):

- Helga: Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?
- Ich: Ich hätte gern ein Brötchen mit Tomate/Mozarella.
- Helga: Die haben wir zur Zeit nicht. Erst wieder, wenn die Schulferien vorbei sind.
- Ich: Dann nehme ich...
- Helga: Aber wir haben jede Menge andere, mit Käse, mit Wurst, ...
- Ich: Nee, die sind mir alle zu trocken.

(Helgas Gesicht schläft ein. Ich realisiere langsam, was ich gerade gesagt habe.)

- Ich: Also das ist meine rein persönliche Meinung.
- Helga: Wir machen da immer soo viel drauf.
- Ich: Ja, also...
- Helga: Die sind wirklich nicht trocken.
- Ich: Ich nehme lieber eine Quarktasche.
- Helga: Das liegt ja jetzt auch wirklich nahe.

Ich verlasse Helgas Laden und gehe davon aus, dass sie sich beim nächsten Mal eh nicht mehr an mich erinnern wird (Nach den Ferien sollte sie mich aber mit den Worten: "Wir haben wieder Tomate-Mozarella-Brötchen im Angebot, da müssen Sie nicht immer die trockenen Brötchen essen" begrüßen) und betrete die U-Bahn. Ich setze mich auf einen Vierersitz und bekomme schon bald Gesellschaft. Die ältere Dame schaut mir zu und beobachtet, wie ich die Papiertüte, in der sich bis vor drei Minuten die Quarktasche befand, auf mein Bein lege. Dann:


Gespräch#3 in der U-Bahn (aktiv):

- Ältere Dame: Sie schmeißen die Papiertüte aber jetzt nicht wirklich auf den Boden?
- Ich: Nein... ich werde sie, sobald ich ausgestiegen bin, in einen Mülleimer entsorgen.
- Ältere Dame: Das will ich Ihnen geraten haben!
- Ich: Ich weiß aber auch nicht, warum wir darüber jetzt reden müssen?
- Ältere Dame: Mich regt die Vermüllung in Frankfurt so auf.
- Ich: Und was hab ich damit zu tun?
- Ältere Dame: Ich mein ja nur.

Die nächsten fünf Minuten schweigen wir uns eisern an. Sie beginnt drei Haltestellen, bevor sie aussteigen muss, mit den Vorbereitungen. Ich merke, dass ihr noch was auf der Zunge liegt.

- Ältere Dame: Ich wollte Sie jetzt nicht persönlich angreifen. 
- Ich: Schon gut.

Sie lächelt mir zu und ich merke, dass ich in Zukunft wirklich früher aufstehen sollte, damit die Zeit auch noch für ein Frühstück reicht.



15 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #2

Je schlechter das Wetter, desto voller werden auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Somit steigt die Gefahr, in fremde Gespräche involviert zu werden.

Wer oft Zug fährt, kennt das Phänomen: Der Deutsche bleibt lieber unter sich. In ICs und ICEs gibt es neben den zahlreichen 2er-Sitzen auch die wesentlich komfortableren 4er-Sitze. Die stehen für Beinfreiheit und haben einen wesentlich größeren und stabileren Tisch. Die Hürde für andere Bahnreisende scheint schier gigantisch zu sein, sich an einen dieser 4er-Sitze zu setzen, wenn schon eine(!) Person einen Platz belegt. Es muss sich schon um einen besonders vollen Zug handeln, in welchem alle Doppelsitze belegt sind, dass jemand auf die Idee kommt, sich dazuzugesellen. An guten Tagen sitze ich also allein und genieße Platz und Ruhe. In der U-Bahn scheint diese Hürde keiner zu kennen. So endet die Beinfreiheit und an Ruhe ist sowieso nicht zu denken. 

Eines schönen Tages sitze ich also in der U-Bahn, habe wie immer meine Kopfhörer auf und höre Musik. Bis...

Gespräch#2 in der U-Bahn (passiv):

- Frau: Ich kann es immer noch nicht fassen.
- Mann: Bitte mach kein Drama draus.
- Frau: Ich verstehe einfach nicht, warum du abgesagt hast.
- Mann: Es hat geregnet und ich hatte einfach keine Lust, nass zu werden.
- Frau: Und wieso sind die anderen dann gegangen?
- Mann: Die gehen bei jedem Wetter. Du kannst mir aber glauben, es hat von Freitag Mittag bis Sonntag Abend nur geregnet. 
- Frau: Bei mir nicht.
- Mann: Du warst ja auch nicht in Frankfurt.
- Frau: Leider Gottes, sonst hätte ich dafür gesorgt, dass du auf den Golfplatz gehst. Du kannst dich dort jetzt nicht mehr sehen lassen.
- Mann: Das ist mir sowas von egal.
- Frau: Und du hast am Telefon abgesagt?
- Mann: Ja, klar. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass wir es verschieben, aber das wollten sie nicht.

(längere Pause)

- Frau: Was sagt denn Rita dazu?
- Mann: Die ist deiner Meinung.
- Frau: Siehst du.

(längere Pause)

- Frau: Und die haben im Regen gespielt?
- Mann: Ich hab um 9 Uhr angerufen. Das Problem ist, dass es um 11 Uhr nicht geregnet hat.
- Frau: Toll, dann hättest du ja auch gehen können.
- Mann: Das wusste ich ja noch nicht.
- Frau: Der wird jetzt Stimmung gegen dich machen im Club.
- Mann: Das ist mir sowas von egal. Der geht höchstens einmal im Monat hin.
- Frau: Aber der hat doch da eine wichtige Position, nicht?
- Mann: Ja, er ist Finanzminister.

(längere Pause)

- Frau: Wie, von Deutschland?
- Mann: Nein, vom Golfclub.
- Frau: Du kannst dich da nicht mehr blicken lassen.
- Mann: Das ist mir sowas von egal.
- Frau: Ich werd nochmal mit Rita drüber reden.
- Mann: Tu das.

(Sie verlassen die U-Bahn)

12 septembre 2013

U-Bahn-Gespräche #1

Ich bin immer wieder aufs Neue begeistert vom gut ausgebauten, vergleichsweise preiswerten Frankfurter ÖPNV-Netz. Busse und Straßenbahnen, S- und U-Bahnen fahren schnell, in gutem Takt und die lokale Nahverkehrsgesellschaft schafft es sogar im Winter, Gleise und Oberleitungen vom Eis zu befreien! Gerade zu Beginn des Herbstes werden die Wagen jedoch wieder voller, die Gerüche intensiver und die Fahrten daher unangenehmer. Versüßt werden sie lediglich von dem einen oder anderen Gespräch, dass man zwangsweise verfolgen muss oder sogar in selbiges involviert wird.

Seit meinem Umzug fahre ich länger und öfter U-Bahn. Die neue Wohnung liegt "weiter draußen", sodass der faule Mensch an sich, sein Fahrrad mehr und mehr zu Hause stehen lässt. Da auf einem Vier-Sitzer in den neueren Wagen sogar vier Menschen Platz haben (wer die alten Wagen der U5 kennt, weiß wovon ich spreche), lauscht man zunehmend den Gesprächen der Mitfahrenden. Klar, normalerweise habe ich Kopfhörer auf und höre Musik, aber erstens soll man die ja nicht so laut aufdrehen (schlecht für die Ohren!) und zweitens bin ich schlicht und ergreifend neugierig. Je leiser die Musik, desto besser versteht man die Gespräche. Und da ich die Kopfhörer ja weiterhin trage, bekommt sogar niemand mit, dass ich weniger der Musik lausche als den vermeintlich interessanten Gesprächsinhalten der 1-3 Mit-auf-dem-Vierersitz-Sitzenden (ja, Headsets legitimieren es heute sogar, Selbstgespräche zu führen). 

Manchmal wird man auch selbst mit der Aufmerksamkeit seiner Mitfahrenden beschenkt. Ungewöhnliche Situation, bleibt doch der Deutsche an sich lieber anonym. Dabei schrecken dann nicht mal die Kopfhörer ab, die ich trage. Hallo? Ich hör doch hier wohl offensichtlich Musik! Manche Menschen kennen keine Scheu. Und so wurde ich Teil des folgenden Gesprächs: 

Gespräch#1 in der U-Bahn (aktive Beteiligung):

- Frau 1: Entschuldigung, ich habe eine Frage zu Ihrem Rucksack.
- Ich: Okay... 
- Frau 1: Der ist von Reuters, oder?
- Ich: Von Deuter.
- Frau 1: Ja, soll eine ganz gute Marke sein. (zu ihrer Begleiterin): Gabi, vielleicht solltest du doch nochmal über Reuters nachdenken. 
- Frau 2: Was hat der gekostet?
- Ich: Weiß ich nicht mehr genau, ich glaube, so 80 Euro.
- Frau 1: Und hat es sich gelohnt?
- Ich: Ja, ich bin sehr zufrieden.
- Frau 1: Und wieviel Liter hat der?
- Ich: Moment mal, das müsste hier stehen.... 26 Liter.
- Frau 1: Und reicht das aus?
- Ich: Für meine Bedürfnisse schon.
- Frau 1: Und Regenschutz hat er auch?
- Ich: Ja, hier unten.
- Frau 1: Also Gabi, ich denke, der wär was für dich.
- Frau 2: Ich informier mich nochmal.
- Frau 1: Und was transportieren Sie damit so?
- Ich: Meistens meinen Laptop und ein paar Bücher, wenn ich in die Uni-Bibliothek fahre. 
- Frau 1: Ach und zum Verreisen ist der zu klein? Gabi, dann ist der vielleicht doch nichts für dich.
- Ich: Kommt drauf an. Wenn man nur übers Wochenende wegfährt, dann reicht der schon.

(längere Pause)
 
- Frau 1: Und wieviele T-Shirts bekommen Sie da rein?
- Ich: ... keine Ahnung. 
- Frau 1: Nicht sehr viele, oder? Wenn man dann noch einen Pullover mitnehmen möchte. 
- Ich: Übers Wochenende nehm ich nicht soviel mit. 
- Frau 1: Aha. 

Gabis Freundin, Gabi und ich schwiegen uns die nächsten 2 Minuten an. An der nächsten Station stieg ich aus, wünschte den Damen einen schönen Abend und rief bei Reuters an, um mich als Verkäufer zu bewerben.

9 septembre 2013

Und sonntags grüßt die Lesebühne

Gestern ist mir etwas Merkwürdiges passiert. Eine längst vergessene Empfehlung meinerseits aus dem letzten Jahr hat die von der Realität ansonsten hermetisch abgeschottete Blogosphäre verlassen und wurde auf eben jener Bühne lobend(?) erwähnt, für die ich einst die Werbetrommel geschlagen habe: auf der Lesebühne ihres Vertrauens

Was war passiert? Wie so oft im letzten Jahr, besuchte ich auch im September 2013 die Lesebühne ihres Vertrauens, eine Veranstaltung, auf der die drei festen Mitglieder, Tilmann Birr, Severin Groebner und Elis gemeinsam mit wechselnden Gästen ihre Texte vortragen und Lieder singen. Wie letztes Jahr im September war Elis nicht dabei, was die beiden anderen jedoch nicht davon abhielt, reichlich aus Elis' Sprüchetüte zu zitieren. Irgendwann erinnerte sich Severin doch tatsächlich an meinen Blogartikel aus dem letzten Jahr, der meinen ersten Besuch der Lesebühne (September 2012) resümierte. Darin schrieb ich: 

"Jeden zweiten Sonntag im Monat veranstalten Tilman Birr, Lisa Danulat, Elis und Severin Groebner die Lesebühne im Frankfurter Ponyhof. Zwar waren diesmal nur Tilman und Severin anwesend (nach spontaner, nicht repräsentativer Umfrage soll wohl Elis besonders gut sein, da er die "Portion Wahnsinn" mit bringt), die vermeintliche Lücke füllten sie jedoch mit den zwei überragenden Gästen Andreas Weber und André Herrmann"

In Severins Kopf blieb hängen, dass ich Elis hier lobend erwähne, obwohl er, wie gestern auch, auf der September-Bühne fehlte. Severin: "Elis erhält sogar positive Kritik, wenn er nicht auf der Bühne steht". Diese Gegebenheit nehme ich doch gern zum Anlass, die Lesebühne erneut wärmstens zu empfehlen.  

Severin, Tilmann, Elis (Quelle: Lesebühne)
Nach meiner ersten Saison Lesebühne, bei der ich an fast allen zweiten Sonntagen im Monat anwesend war, halte ich mein positives Urteil aufrecht. Es fetzt! Alle drei Lesebühnen-Mitglieder machen Spaß. Severin, der Exil-Wiener, der in Bornheim wohnt (obwohl er, wie wir gestern erfahren durften, kürzlich umgezogen ist), besticht durch die Perspektive des Österreichers auf die Deutschen ("Österreicher sind im Ausland so beliebt, weil sie sowieso für Deutsche gehalten werden, wenn sie sich daneben benehmen"). Tilmanns Erlebnisse als Reiseführer in Berlin werden nur von seinen Liedern getoppt. Besonders angetan hat es mir dabei sein Lied "Burnout", aus dem ich oft selbst im Alltag zitiere: "Früher schlief ich gerne länger, jetzt bin ich Berufsanfänger". Und Elis? Nachdem ich ihn nun tatsächlich auf der Bühne erleben durfte, bestätigt sich das Urteil meiner damaligen Begleitung, die schon seit mindestens 1732 Fan der Lesebühne ist: Ja, er ist der Beste. Und ja, das liegt an der Portion Wahnsinn. 



Natürlich waren nicht alle Lesebühnen gut, es gab auch schwächere Abende: 
  • Wenn Severin ein Lied vorträgt, das noch nicht fertig ist, er also Text, aber noch keine Musik hat, dann hätte das Lied sicher auch noch bis zum Oktober warten können. Und wenn er dann ein zweites Lied singt, welches schon so alt ist, dass er Schwierigkeiten hat, sich an den Text zu erinnern, dann hat eben jene Freundin, die mich auch gestern wieder begleitete, vielleicht gar nicht mal so unrecht: "Severin und Lieder, das passt einfach nicht zusammen"
  • Wenn der gestrige Gast Anselm Neft deutlich raushängen lässt, dass er mit dem Ponyhof-Publikum eher weniger klar kommt. Meine Freundin: "Er ist halt eher so der ernste Germanist." - "Wie meinst du das?" - "Wer Gryphius zitiert, kann nur ein ernster Germanist sein" Sie meint das übrigens ausschließlich positiv.
  • Wenn Elis (in der letzten Lesebühnen-Saison, gestern war er ja nicht da) an mehreren Abenden die selben (zugegeben sehr guten) Texte vorträgt. Macht sonst nur Andy Strauß beim "Word! Poetry Slam Meets Rap"

Aber es fällt wirklich leicht, solche Schwächen zu verzeihen: Als Großstädter erfreue ich mich einfach an Liedern wie "Ich bin ein Landproll, wie immer randvoll, Goldkrone, Goldkrone". Nicht nur aufgrund seiner Auftritte vor dörflichen Kulturvereinen regt Tilmann an, hässlichen Menschen einfach mal zu sagen, dass sie scheiße aussehen. Natürlich völlig wertfrei, ist ja klar! Und als Student im 287. Semester freue ich mich ebenso über Geschichten aus dem (längst vergangenen) Uni-Alltag des zweiten Gastes Christian Ritter aus seinem Buch "Kopfhörer raus, das ist klausurrelevant". Daher fällt es mir leicht zu sagen: Ja, ich schenke der Lesebühne auch 2013/2014 mein Vertrauen. In der Hoffnung, dass der Hubschrauber endlich zur Landung ansetzt.