19 mars 2013

Am Anfang war das Wasser, Teil 2

Wir waren naiv. Dass die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nicht ausreichen würde, um den Albtraum vergessen zu lassen, war ja schon klar. Doch auch jeglich pessimistischere Schätzung ließ uns nicht erahnen, dass wir Ende März noch immer an den Nachwehen der feucht-fröhlichen Nacht zehren werden.

Der Parkettboden ist rausgerissen, die Tapete hat das Zeitliche gesegnet, überall hängen Kabel aus der Wand. Du sitzt in der Küche, machst die Tür hinter dir zu und alles scheint wie immer. Mal abgesehen von der Dschungelatmosphäre, die durch die ganzen Pflanzen entsteht, welche sonst in der Wohnung verteilt sind. Und abgesehen von dem Dreck, den du jedes Mal reinträgst, wenn du die Küche betrittst. 

"Wie könnt ihr hier nur wohnen?", fragen sie von außen und ahnen nicht, wie wunderschön es sich hier lebt. Schon im alten Sparta wussten sie, dass man nicht viel im Leben braucht. Du verlässt die Küche, stolperst über eine der verbliebenen Querleisten, die daran erinnern, dass die Wohnung normalerweise fünf Zentimeter höher liegt und schaust in dein Zimmer. Da stehst es: dein Bett, in dem sich - mehr noch als sonst - der Großteil der Zeit zu Hause abspielt, daneben ein Pappkarton, der als Schreibtisch dient und der Koffer, aus dem du seit Wochen lebst. 

Wieder in der Küche, willst du eine von Hundert Seiten lochen, die du im letzten halben Jahr mit mathematischen Formeln vollgeschieben hast. Dass du oftmals zu keinem sinnvoll erscheinenden Ergebnis kamst, ist weniger essentiell als die Frage: "Wo befindet sich der Locher?" Gepackt von Enthusiasmus schreitest du nach oben auf den Dachboden, wo seit Wochen all dein Hab und Gut parkt und durchsuchst die zahlreichen Kisten. Frei nach Murphys Gesetz findest du den Locher natürlich erst in der letzten aller Kisten, ganz hinten in der Ecke, neben den fünf Brettern, die mal dein Bücherregal waren. 

Endlich! Wieder in der Küche. Die Seite ist gelocht. Du fragst dich, wie lange das noch so weitergehen soll? Und: wie lange wohnst du eigentlich schon in diesem Zustand? Drei Wochen, so hieß es, muss die Wohnung ohne Boden und Tapete trocknen. Niemand hat erwähnt, dass der Parkettleger noch eine Woche braucht, um ein Angebot zu erstellen. Niemand konnte vorher wissen, dass das Angebot dann noch eine Woche Urlaub auf der Ablage der Hausverwaltung macht, natürlich mit unterster Priorität, die Hausverwaltung muss ja schließlich noch zahlreiche andere Häuser verwalten. Und wie soll man denn auch arbeiten, wenn dauernd irgendwer anruft, um sich zu erkundigen, wann das Angebot denn endlich eine Ablage weiter nach oben rutscht? Niemand hat dir erzählt, dass die Versicherung eine Woche brauchen wird, bis sie das Angebot genehmigen kann, denn der zuständige Mitarbeiter war ganz plötzlich verreist. Niemand wusste schließlich, dass wenn das Angebot dann mal genehmigt ist, das Holz für die neuen Dielen erstmal bestellt werden muss. Holz gibt es natürlich nur an einem Ort zu erwerben: bei IKEA. Ist das Holz dann bestellt, beträgt die Lieferzeit aus Schweden drei bis vier Wochen. Das konnte nun wirklich niemand ahnen. 

Du sitzt also in der Küche und merkst, wie du plötzlich nur noch in Wochen denkst. Wie lange dauert es wohl, bis die Dielen dann verlegt sind? Bestimmt eine Woche. Abgeschliffen werden müssen sie noch, so heißt es, und lackiert. Und dann  ist die Wohnung immer noch nicht tapeziert. Hm - bestimmt eine Woche. Ängstlich drängt sich dir die Frage auf, ob man Tapete erst bestellen muss und aus welchem skandinavischen Land diese dann geliefert wird. Aber das kann ja zum jetzigen Zeitpunkt nun wirklich keiner wissen. Bis dahin machst du einfach die Küchentur hinter dir zu, denn dann scheint alles wie immer zu sein. Mal abgesehen von der Dschungelatmosphäre. Und dem Dreck, den du immer reinträgst.