21 janvier 2011

Des Alten blonde Tochter

Jean Marie geht. Marine kommt. Le Pen bleibt. Der Führungswechsel bei der Front National (FN) wirft einige Fragen auf zur zukünftigen Entwicklung der FN, der politischen Landschaft Frankreichs und der Zukunft der "Grande Nation" elle-même.

Die äußerste Rechte hat in Frankreich eine lange Tradition. Offen zu Tage trat sie erstmals während der Französischen Revolution, die zwar allgemein als die Geburtsstunde des freiheitlichen Wertesystems gilt, aber auch einige erzkonservative Konterrevolutionäre auf den Plan rief. Im Laufe der Jahrhundert gab es weitere Wellen des Rechtsextremismus, beispielsweise in der sog. affaire Dreyfus oder in der französischen Kollobaration während des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1972 gründete sich schließlich die Front National, die heute das entscheidende Sprachrohr des Rechtsextremismus und -populismus ist und inzwischen als drittstärkste politische Kraft Frankreichs gesehen werden kann.

Der inzwischen 82jährige Parteigründer Jean Marie Le Pen hat sich jüngst vom Parteivorsitz verabschiedet und seine jüngste Tochter (42) Marine zu seiner Nachfolgerin gemacht. Daher könnte man die FN an einer Weggabelung vermuten: Verliert sie sich in der Bedeutungslosigkeit oder wird sie sogar noch stärker werden in Zukunft? Momentan spricht einiges für Zweiteres. Doch zunächst möchte ich die FN ein wenig charakterisieren.

(Quelle: Zeit Online)

Die FN ist zunächst eine Art Sammelbecken für alle erzkonservativen und rechtsextremen Tendenzen, ohne sich aber selbst als rechtsextrem zu bezeichnen.

« The extreme right ideology can be regarded as a developed system of ideas, whose utopian component compromises the refusal of the existing status quo. […] the ultimate goal is to change the established power relations and governing rules in contemporary society. » (Swyngedouw/Ivaldi 2001)
Dementsprechend positionniert sich die FN gegen das "System", wird zum Systemfeind. Gleichzeitig präsentiert sie sich als Alternative und wird für viele potentiell attraktiv. Verantwortlich dafür ist eine effiziente und m.E. sehr intelligente Propaganda, die über Diskurs und Symbolik funktioniert. Die FN will so als einzige und letzte Hoffnung erscheinen, die in der Lage ist, den Bedürfnissen der Menschen nachzukommen. Der Diskurs der FN schafft es, eine spezifische Art zu kreieren, die Welt zu betrachten und Probleme zu bewerten.  Ein zentrales Element dabei ist die Schaffung von kollektiven Feindbildern, die Orientierung bieten.  Ein erstes Feindbild beinhaltet alles, was die FN zum besagten System zählt (politische Klasse/Establishment).

Dieses Konzept  « embrace[s] all the other parties and tends to undermine differences between them. […] The FN’s picture of French politics is predominantly one of corruption, decay and increased party privilege. » (Swyngedouw/Ivaldi 2001)
Ein weiteres Feindbild sind (wenig überraschend) Immigranten. Die FN setzt drei auf den ersten Blick voneinander unabhängige Themen in einer Kausalkette zusammen: Immigration - Unsicherheit - Arbeitslosigkeit.

Le Pen « politicized immigration, portraying it as the major cause of increasing mass unemployment, high taxes and welfare costs, (sub)urban crime and insecurity» (DeAngelis 2003).

Er zieht klare Grenzen zwischen "uns" und "ihnen", zwischen "den Franzosen" und "den Anderen", zwischen "den Guten" und "den Bösen". Über Populismus, Nationalismus und Xenophobie wird versucht, die komplexer werdende Welt verständlicher zu machen. Die FN schafft so für viele ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine neue Identität, stiftet  ein gemeinsames Feindbild und verbreitet sein Weltbild unter ihren Anhängern und darüber hinaus. So konnte die FN über Jahre einen enormen sozialen Einfluss entwicklen. Lecoeur spricht von der "Lepenisierung der Gedanken". Unabhängig von den tatsächlichen Wahlerfolgen hat die FN die öffentliche Meinung und auch den Diskurs der anderen Parteien maßgeblich beeinflusst. Le Pen hat immer wieder die gleichen Themen/"Wahrheiten" wiederholt, bis sie sich irgendwann wie schon-mal-gehört anhörten, populär wurden und inzwischen von einer breiten Masse unterstützt werden. Beispiele sind ‘problème de l’immigration’, ‘décadence’ oder auch ‘racisme anti-Français’.

(Quelle: Spiegel Online)

Was sagt das alles über die Zukunft aus? Nun, die beschriebenen Phänomene bestehen auch heute nach wie vor und das nicht nur in Frankreich. Auch in Deutschland werden Diskurse über die vermeintliche Bedrohung durch Zuwanderer und Deutsche mit Migrationshintergrund geführt. Bauchgefühl-Tiraden mit angeblicher empirischer Bestätigung à la Sarazzin sind salonfähig. Nur hat sich das bisher nicht in Wahlerfolgen entsprechender Parteien niedergeschlagen. Zurück zu Frankreich: Die Grande Nation fühlt sich bedroht, spürt einen zunehmenden Einflussverlust in der Welt und muss mit steigender Arbeitslosigkeit sowie Armut kämpfen. Die "kleinen Leute" wählen schon lange nicht mehr links, sondern Front National.

Die Ablösung Jean Maries war längst überfällig. Seinen größten Erfolg hatte er 2002, als er Jaques Chirac in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen herausforderte, ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang. Dennoch war er für viele nicht wählbar. Der Mann, der den deutschen Genozid an Juden für ein zu vernachlässigendes Detail der Geschichte hält, war eben doch eine Spur zu extrem. Marine tritt da wesentlich gemäßigter auf (oder tut zumindest so). Sie wettert gegen den Euro und die EU, gegen die Globalisierung und die Banken, gegen die kriminellen Ausländer und den Islam (à la: natürlich habe ich nichts gegen den Islam, nur leider sind Muslime eben übermäßig häufig kriminell), also die Art von Stammtischpopulismus, der zunehmend populärer wird. Die Gefahr ihrer Strategie der Entdämonisierung der FN liegt natürlich darin, die wirklich radikalen Rechtsextremen zu verlieren. Aber auch für diese Kader hat sie jüngst ihren rhetorischen Giftkoffer geöffnet: Straßengebete von Muslimen verglich sie mit der einer Besatzung "von Teilen staatlichen Territoriums" ("Es gibt keine Panzer, keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es dennoch"). Auch diese Aussage zeugt wieder von ihrem intelligenten Diskurs. Niemals sprach sie den Vergleich mit der Nazi-Besatzung aus, aber verstanden wurde sie trotzdem.


(Quelle: Spiegel Online)

Es ist schwierig zu sagen, wohin Marine Le Pen die FN und die Franzosen hinführt bzw. verführt. Sicher ist, dass ihr Einfluss größer wird. Meine Prognose: Marine Le Pen kommt bei den Präsidentschaftswahlen 2012 in die zweite Runde, indem sie Nicolas Sarkozy aussticht. Dort wird sie dem sozialistischen Kandidaten, vermutlich Strauss-Kahn, zwar haushoch unterlegen, jedoch sind potentielle 25% der Wählerstimmen eben auch 1/4 der Franzosen. Düstere Vorstellung.


Literatur

DeAngelis R., 2003: « A Rising Tide for Jean-Marie, Jörg, and Pauline? Xenophobic Populism in Comparative Perspective », Australian Journal of Politics and History, vol. 49, p. 75-92.

Lecoeur E., 2003: « Un néo-populisme à la francaise. Trente ans de Front National », Paris, La Découverte
 
Swyngedouw M./Gilles I., 2004: « The Extreme Right Utopia in Belgium and France: The Ideology of the Felmish Vlaams Blok and the French Front National », West European Politics, 2004, vol. 24, p. 1-22.
 
Der Spiegel: "Rechtsextreme wählen Le Pen zur Chefin"
 
Die Zeit: "Des Alten blonde Tochter"

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