28 avril 2011

Würstchen vs. Erbse

Wenn ich mich in Diskussionen über Vegetarismus einmische, begebe ich mich gewiss auf unsicheres Terrain: Ökototalitarismus versus Liberalismus, Hedonismus versus Verantwortungsgefühl... Die Lösung könnte - wie so oft - in der Mitte liegen. Oder einfach in mehr Gelassenheit.

Am Anfang war die Idee. Das Studentenwerk wollte in regelmäßigen Abständen einen vegetarischen Tag in einer (!) ihrer Mensen durchführen - aus sehr unterschiedlichen Gründen. Für einen solchen gibts es deutschlandweit zahlreiche Beispiele, sowohl universitär als auch außerhalb der Universität. Vielerorts wird ein solcher Tag am Donnerstag durchgeführt. So entstand der Slogan "Donnerstag ist Veggietag" - wobei hier aber keinesfalls jeder Donnerstag gemeint war, sondern vielmehr - wie es nun der Fall ist - ein (!!) einziger (!!!) Donnerstag im Semester.


Zur Einbeziehung der Studierenden wurde der StudentInnenrat (StuRa) um eine Stellungnahme gebeten. Dieser sprach sich in sehr großer Mehrheit für eine Unterstützung des Veggietages aus. Das Studentenwerk hätte aber den Veggietag auch ohne Votum des StuRa-Plenums testweise durchgeführt.

Noch bevor der erste vegetarische Tag am 9.12. stattfand, formierte sich Protest unter den Studierenden. Es wurde die Online-Petition "Kein-Veggie-Tag" initiiert, die im Dezember 2010 von 70 Leuten unterzeichnet wurde. Darin heißt es "Wir entscheiden selbst, was wir für richtig halten! Wir lehnen ihren Empfehlungszwang dankend ab. Wir wollen weiterhin ein ausgewogenes Angebot in der Mensa am Park. Jeder soll seine Mahlzeit wählen können, wie es seinen Bedürfnissen entspricht." Das "Diktat der Pflanzenfresser" schränke die Freiheit aller Studierenden und sonstiger Mensagänger ein, sich für Fleisch  entscheiden zu können.

Auf der anderen Seite stehen die Verfechter des Veggie-Tages mit einem Appell an das Verantwortungsgefühl: "Bei aller Wichtigkeit des Rechts auf Selbstverwirklichung, sind die Argumente, die im Petitionstext vorkommen, fast ausschliesslich hedonistisch und lassen die Gegengewichte von Verantwortung, Pflichtgefühl, Mitleid, Einstehen für Schwächere usw. doch vollkommen außer Acht. Ich höre Euch laut nach Freiheit rufen, aber nicht eine Sekunde über Verantwortung nachdenken oder über Motive, die einen Schritt weiter gehen, als das Lustgefühl auf dem Teller." Selbstverständlich stehen hinter diesen Motiven v.a. Anhänger und Anhängerinnen des Vegetarismus als Ideologie.

Die Initiatorin des Veggie-Tages Angela Hölzel, Mitgeschäftsführerin des Studentenwerks, zeigt sich im Zeit-Artikel "Rohe Fleischeslust" vom Gegenwind überrascht: "Wie kann man unter intelligenten Menschen so unentspannt mit diesem Thema umgehen?" - wobei ich mit dem Begriff "Intelligenz" immer vorsichtig wäre.

Der nächste Veggie-Tag findet am 05. Mai in der Mensa am Park statt. Erneut rollt eine Protestwelle an. Jura-Studenten organisieren ein Protest-Würstchen-Grillen vor der Mensa. In der Einladung heißt es:
"Es geht um die Wurst! Wieder wird von Studentenwerk und StuRa ein Veggie-Tag in der Mensa am Park durchgeführt. Während es jeden Tag mindestens ein vegetarisches Gericht und vegane Nudeln gibt, werden hiermit tausende Fleischliebhaber diskriminiert. [...] Sind wir bei Mutti und Vati ausgezogen, um uns von unserer studentischen Pflichtvertretung erziehen zu lassen?"
Die originell-witzige Reaktion kommt prompt:
"Die Prinzessin auf der Erbse ist erzürnt! Während es geschätzte 300 Tage im Jahr Fleisch- und/oder Fischgerichte gibt, werden Erbsen in der Mensa nur an einem Bruchteil dieser Tage serviert; Millionen von ErbsenliebhaberInnen werden hiermit diskriminiert. [...] Sind wir bei unseren Pflegeeltern rausgeflogen und aus der Kirche ausgetreten, um uns von pupsenden BohnenesserInnen die Beilage diktieren zu lassen?"
Dogmatische Vegetarier und Vegetarierinnen nerven. Von perversen Zuständen in der Massentierhaltung, über katastrophale Folgen auf die Umwelt (Treibhausgase, Wasserverschwendung, Regenwaldzerstörung) bis hin zu Millionen hungernden Menschen auf der Erde lassen sich jedoch ihre Argumente nicht einfach wegwischen mit der Formel "Ich esse gerne Fleisch!".

Verantwortung sollte jeder übernehmen, auch wenn es manchmal weh tut. Nicht umsonst wollen wir auf erneuerbare Energien umschwenken, energieeffizienter leben oder weniger Schulden machen. Ein Weiter-So ohne Einbeziehen der Konsequenzen ist nicht akzeptabel. Ein allzu leichtsinniger Umgang mit Aids  mit dem Argument "Ohne Gummi macht es mehr Spaß" ginge in eine ähnliche Richtung.

Ob ein vegetarischer Tag das richtige Mittel ist, sei dahin gestellt. Die erhitzte Debatte zeigt jedoch, dass sich zumindest mit dem Thema "Fleischloses Essen" beschäftigt wird. Angesichts eines einzigen fleischlosen Tages pro Semester, der zur Aufklärung dienen soll, rate ich allerdings schlichtweg zur Gelassenheit.

Weiterführende Links:
Donnerstag ist Veggie-Tag
Zeit-Artikel vom 01.04.2011  
Schlatterblog (zugegeben - Bio ist ein anderes Thema als Vegetarismus...)

Möge die Diskussion eröffnet sein! Ich bitte schon mal, mir etwaige Polemik nachzusehen. Obwohl - das war Absicht ;)

2 commentaires:

Medicusine a dit…

Sehr anschaulich und unterhaltsam geschrieben! Lässt mich sowohl mit einem Schmunzel auf den Lippen, als auch mit einem fassungslosen Kopfschütteln zurück.
Um das von vornherein klarzustellen: ich bin ein absoluter Fleischliebhaber! In der Mensa fällt meine Wahl überdurchschnittlich oft auf ein fleischiges Vergnügen, einfach dem Grund geschuldet, dass ich oft koche und dann nur seltenst ein saftiges Schnitzel für mich alleine paniere und brate.
Trotzdem ist mir die Aufregung um EINEN vegetarischen Tag im SEMESTER völlig unbegreiflich. Spätestens nach Indien, wo ich mich einen Monat (unfreiwillig aus Angst vor gammligen Fleisch) völlig vegetarisch ernährt habe, weiß ich auch die vegetarische Vielfalt zu schätzen, die durchaus lecker ist. Von Diskriminierung der Wurstbefürworter meiner Ansicht nach keine Spur, nur hochgepuschte Wichtigtuerei.
Sei sie begrüßt, die Horizonterweiterung, das erbsenmäßige Geschmackserlebnis, oder auch der Verzicht.
Immer her damit...

Luisa a dit…

Warum sind manche Menschen so wunderbar auf sich selbst fixiert?
Einerseits verlangen, dass es jeden Tag schön viele Gerichte gibt, die einen Batzen Fleisch auf ihren Teller bringen und andererseits das gleiche Recht den Vegetariern nicht gestatten? Ich fände es gut einen "Veggie-Tag" zu machen. Außerdem wem schadet es, wenn man einmal (!) im Semester kein Fleisch ist? Wer es so nötig hat Tiere zu essen, der sollte an dem Tag einfach mal zu Hause kochen.

Es ist absolut unnötig sich gegen so etwas aufzulehnen... Aber wer's nötig hat...


Luisa