Sarkozy oder Hollande? Fast 50 Prozent der wahlberechtigten Franzosen interessierte diese Frage bei der ersten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahl nur am Rande. Das ist zunächst natürlich kein Problem. Das Eichhörnchen auf Koffein (Sarkozy) ist so unbeliebt wie noch kein amtierender Präsident vor ihm. Und Hollande besticht vor allem durch eins: Langeweile. Ein weiterer Name löst da viel mehr Emotionen aus (und das bereits bei allen Präsidentschaftswahlen seit 1974): Le Pen.*
16,9 Prozent setzten Frankreich im Jahre 2002 in Aufruhr. Jean-Marie Le Pen überholte damals überraschend den sozialistischen Kandidaten Jospin und zog in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen ein. Zehn Jahre später kann seine Tochter Marine (inzwischen Jean-Maries Nachfolgerin) diesen Coup nicht wiederholen. Dies stimmt jedoch nur auf den ersten Blick. Denn mit 18,5 Prozent erreicht sie heute über sechs Millionen Wählerinnen und Wähler (bei 45 Millionen Wahlberechtigten, wovon 36 Millionen gewählt haben).
Die äußerste Rechte hat in Frankreich eine lange Tradition. Offen zu
Tage trat sie erstmals während der Französischen Revolution, die zwar
allgemein als die Geburtsstunde des freiheitlichen Wertesystems gilt,
aber auch einige erzkonservative Konterrevolutionäre auf den Plan rief.
Im Laufe der Jahrhundert gab es weitere Wellen des Rechtsextremismus,
beispielsweise in der sog. affaire Dreyfus oder in der französischen Kollobaration während des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1972 gründete sich schließlich die Front National (FN), die heute das
entscheidende Sprachrohr des Rechtsextremismus und -populismus ist und
inzwischen als drittstärkste politische Kraft Frankreichs gesehen werden
kann.
Der inzwischen 83jährige Parteigründer Jean Marie Le Pen hat sich 2011 vom Parteivorsitz verabschiedet und seine jüngste Tochter (43) Marine zu
seiner Nachfolgerin gemacht. Marine versucht nun, das Image ihres Vater einerseits zu konservieren und anderseits loszuwerden. Der Mann, der den deutschen
Genozid an Juden für ein zu vernachlässigendes Detail der Geschichte
hält, war eben doch eine Spur zu extrem. Marine tritt da wesentlich
gemäßigter auf (oder tut zumindest so). Sie wettert gegen den Euro und
die EU, gegen die Globalisierung und die Banken, gegen die
kriminellen Ausländer und den Islam (à la: natürlich habe ich nichts
gegen den Islam, nur leider sind Muslime eben übermäßig häufig
kriminell), also die Art von Stammtischpopulismus, der zunehmend
populärer wird. Die Gefahr ihrer Strategie einer "Entdämonisierung" der FN
liegt natürlich darin, die wirklich radikalen Rechtsextremen zu
verlieren. Aber auch diese Kader hält sie mit brillianter Rhetorik bei der Stange. So verglich sie 2011 die Straßengebete von Muslimen mit einer Besatzung "von Teilen staatlichen Territoriums". Niemals sprach
sie den Vergleich mit der Nazi-Besatzung direkt aus ("Es gibt keine
Panzer, keine Soldaten, aber eine Besatzung ist es dennoch"), aber verstanden wurde sie
trotzdem.
Die FN positioniert als "Systemfeind". Ihre Attraktivität gewinnt sie durch eine
effiziente und sehr intelligente Propaganda. Die FN will so als einzige und letzte Hoffnung
erscheinen, die in der Lage ist, den Bedürfnissen der Menschen
nachzukommen. Ein
zentrales Element ihres Diskurses ist dabei die Schaffung kollektiver Feindbilder. Ein erstes Feindbild beinhaltet alles, was die
FN zum besagten System zählt (politische Klasse/Establishment). Ein weiteres Feindbild sind (wenig überraschend) Immigranten. So werden klare Grenzen zwischen "uns"
und "ihnen", zwischen "den Franzosen" und "den Anderen", zwischen "den
Guten" und "den Bösen" gezogen. Über Populismus, Nationalismus und Xenophobie
wird versucht, die komplexer werdende Welt verständlicher zu machen.
Die FN schafft so für viele ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine neue
Identität, stiftet ein gemeinsames Feindbild und verbreitet ihr
Weltbild unter ihren Anhängern und darüber hinaus. So konnte die FN
über Jahre hinweg einen enormen sozialen Einfluss entwicklen.
Auch in Deutschland werden Diskurse über die vermeintliche
Bedrohung durch Zuwanderer und "Deutsche mit Migrationshintergrund"
geführt. Bauchgefühl-Tiraden mit angeblicher empirischer Bestätigung à
la Sarazzin sind salonfähig. Nur hat sich das bisher nicht in
Wahlerfolgen entsprechender Parteien niedergeschlagen. Zurück zu
Frankreich: Die Grande Nation fühlt sich bedroht, spürt einen
zunehmenden Einflussverlust in der Welt und muss mit steigender
Arbeitslosigkeit, Armut und Staatsverschuldung kämpfen. Die ‚kleinen Leute‘ wählen schon lange nicht mehr linke Parteien der Arbeiterklasse, sondern die Front National.
Wenn also über sechs Millionen Franzosen am rechten Rand wählen, dann ist das nur das offensichtliche Problem. Unabhängig von den
tatsächlichen Wahlerfolgen hat die FN die öffentliche Meinung und auch
den Diskurs der anderen Parteien maßgeblich beeinflusst. Le Pen hat
immer wieder die gleichen Themen/"Wahrheiten" wiederholt, bis sie sich
irgendwann wie schon-mal-gehört anhörten, populär wurden und inzwischen von einer breiten Masse unterstützt werden. Beispiele sind ‘problème de l’immigration’, ‘décadence’ oder auch ‘racisme anti-Français’. Wenn Sarkozy
zurzeit versucht, die FN rechts zu überholen, dann kann er das nur
machen, weil es fruchtet. Nichtsdestotrotz wird er von vielen FN-Wählern gehasst. Marine Le Pen soll insgeheim auf einen Wahlsieg Hollandes und eine anschließende Abspaltung rechter Teile von Sarkozys UMP hoffen, die sie in einer sich neu zu gründenden rechten Partei unter ihrem Vorsitz aufnimmt. Nächster Halt für Marine: Präsidentschaftswahl 2017. Ihr Einfluss wird bis dahin wachsen. Düstere Vorstellung.
* Erstveröffentlichung auf renardteipelke.blogspot.com
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